Sie befinden sich hier | Kapitelüberschrift  Stolpersteine Biografie
Schriftgroesse verkleinern Schriftgroesse normal Schriftgroesse vergrössern
Diese Seite ausdrucken

Fanny Littmann, *1923

ausgewiesen 1938 nach Polen
für tot erklärt


Johann-Kühn-Str. 24
Bremen-Gröpelingen
ehemalige Straßenbezeichnung: Dennewitzstr. 24


Johann-Kühn-Str. 24 - Weitere Stolpersteine:


Fanny Littmann


Familienbiografie
Hermann Littmann
Rachela Littmann, geb. Popper
Fanny Littmann

Herrmann Littmann und seine Frau Rachela stammten aus Kalusz, einer kleinen Stadt in Ostgalizien (heute Ukraine). Hier wurden Hermann Littmann am 31.12.1874, Rachela Littmann, geb. Popper, am 18.12.1878 geboren. Beide wuchsen auch in Kalusz auf und heirateten dort am 8.8.1898. Hier wurden vor dem Ersten Weltkrieg in größeren Abständen auch die drei älteren Kinder geboren: Kiwa 1902, Leo(n) 1908 und Rosa 1914.

Angesichts der antisemitischen Übergriffe in seiner Heimat beschloss Herrmann Littmann, obwohl er in Kalusz bereits eine gesicherte, ausgesprochen erfolgreiche berufliche Existenz als Lebensmittelkaufmann vorzuweisen hatte, mit seiner Familie auszuwandern.

1921 ließ er sich in Bremen nieder. In der Dennewitzstraße 24 (heute Johann-Kühn-Straße 24) erwarb er ein dreistöckiges Wohn- und Geschäftshaus holte noch im selben Jahr seine Frau sowie den Sohn Leon und die Tochter Rosa nach. Im folgenden Jahr zog auch der schon volljährige Kiwa, der zunächst in Syke gemeldet war, ins Elternhaus, in dem er bis 1932 wohnen sollte. Am 16. 9.1923 wurde in Bremen das vierte Kind der Familie geboren, die jüngste Tochter Fanny.

Die Littmanns richteten in ihrem Haus eine Heringsgroßhandlung mit Marinieranstalt ein sowie ein Lebensmittelgeschäft, das von Rachela Littmann betrieben wurde. In der Großhandlung waren je nach Arbeitsanfall drei bis sechs Mitarbeiter beschäftigt und in den ersten Jahren auch Sohn Kiwa, der nach der höheren Schule in Kalusz die technische Fachschule in Wien besucht hatte. Er war für den väterlichen Betrieb als Reisender mit eigenem PKW tätig, bis er sich 1925 mit einer Lebensmittelgroßhandlung in der Hankenstraße selbständig machte.

Sohn Leo, der in Kalusz, Wien und Bremen zur Schule gegangen war, verließ Bremen nach Beendigung seiner Schulzeit 1924, um eine kaufmännische Lehre in Frankfurt an der Oder zu absolvieren. Anschließend arbeitete er dort und in Hannover als Verkäufer. 1931 kehrte Leo Littmann nach Bremen zurück, wo er eine Stelle als Verkäufer bei Karstadt antrat. Ab 1931 war er in Bremen unter unterschiedlichen Adressen gemeldet, darunter kurzzeitig immer mal wieder im Elternhaus.

Über den Bildungsgang der Töchter ist wenig in Erfahrung zu bringen. Auf der Einwohnermeldekarte von Rosa Littmann ist kein erlernter Beruf eingetragen, sie lebte auch als Erwachsene noch im Elternhaus und wird vermutlich im Familienbetrieb mitgearbeitet haben. Die jüngere Tochter Fanny besuchte die Volksschule an der Fischerhuder Straße und anschließend eine Mittelschule, eine Chance auf eine Lehrstelle hatte sie als Jüdin nach 1933 nicht. Fanny soll schon als Kind im Ladengeschäft mit zur Hand gegangen sein.

Am 1. 4.1933 wurde das Geschäft der Littmanns von SA umstellt und mit Hassparolen beschmiert. Im Juli 1936 konnte Kiwa Littmann mit seiner jungen Frau Tanja in die USA auswandern, wo bereits Verwandte lebten. Leo Littmann, der sich vor 1933 gute Chancen auf eine Position als Einkäufer bei Karstadt ausgerechnet hatte, verlor mit der Machtergreifung seine Stelle und war fortan im Lebensmittelgeschäft seiner Mutter tätig. Ende 1937 verließ auch er Bremen und folgte seinem Bruder in die USA (nach Philadelphia).

Alle Familienmitglieder waren polnische Staatsangehörige geblieben. Die in Bremen verbliebenen Familienmitglieder waren damit von der Polenaktion (siehe Glossar) betroffen und wurden am 28.10.1938 ins deutsch-polnische Grenzgebiet abgeschoben. In der westpolnischen Grenzstadt Leszno saßen sie zunächst fest und durften nicht in ihre alte Heimat im Landesinneren weiterfahren. Auf einer vom 2.11.1938 datierten, in Leszno abgeschickten Postkarte schilderte Herrmann Littmann seinem Sohn Kiwa in Philadelphia das Elend der Familie:

"Meine Lieben, vielleicht werdet ihr schon gehört haben, daß wir aus Deutschl. ausgewiesen worden sind. Es kam so plötzlich. Unser ganzes Gepäck besteht aus einer Zahnbürste und 1 Stück Seife. Am Donnerstag abend kamen zwei von der Gestapo und forderten uns sehr höfl. auf, mit zur Wache zu kommen. Es könnte eventuell einen Tag dauern. Wir sollten nichts mitnehmen außer Zahnbürste usw. Von der Wache aus kamen wir ins Gefängnis am Wall. Freitag morgen wurden wir in den Zug gesetzt und zur polnischen Grenze abgeschickt. Wir konnten nicht nach Hause um wenigstens einen Mantel anzuziehen. Heute ist Mittwoch und wir wissen noch nicht was werden wird. Außerdem haben wir noch nicht einmal einen Paß und können auch nicht nach Kalusz."

An Charlotte Lange, eine ebenfalls aus Kalusz stammende Freundin der Familie, schrieb er im Dezember 1938, immer noch aus Leszno:

"Wir stehen hier ganz mittellos, nackt und barfuß, noch dazu mit meiner kranken Frau. Ich habe nichts mehr als meinen Arbeitsanzug an. […] Ich hoffe, dass die deutschen Behörden Ihnen keine Schwierigkeiten machen werden, einer so armen unglücklichen Familie ihre alten und unentbehrlichsten Gegenstände abschicken zu können."

Charlotte Lange schickte der Familie die gewünschten Dinge nach, die freilich nie ankamen. Sparkassenbuch, Wertgegenstände und Bargeld waren bereits eine Woche nach der Abschiebung der Familie bei einer Hausdurchsuchung beschlagnahmt worden. Bis mindestens Januar 1939 wurden die Littmanns noch in Leszno festgehalten, denn die Vollmacht für die Verwaltung seines Grundstückes in Bremen, die Herrmann Littmann Charlotte Lange am 20.1.1939 erteilte, wurde noch von dort abgeschickt. Wann genau die Familie in ihre Heimatstadt Kalusz weiterreisen konnte, lässt sich nicht mehr ermitteln. Das nächste und letzte Lebenszeichen der Familie ist vom 9.10.1940 datiert und stammt aus Kalusz. In dem an Charlotte Lange gerichteten Brief schrieb Herrmann Littmann, dass er „gesund und munter“ sei und sein „tägliches Auskommen“ habe, da er Arbeit in einem Dachpappe-Betrieb gefunden habe. Er zeigte sich entschlossen, sein Haus in Bremen nicht aufzugeben und bat Charlotte Lange, die Verwaltung seines Grundstücks in Bremen fortzuführen. „Ich schreibe so, weil ich den Glauben an mich selbst nicht aufgegeben habe.“

Das Grundstück der Littmanns wurde nach der Verordnung über die Behandlung von Vermögen der Angehörigen des ehemaligen polnischen Staates vom 17.9.1940 durch die Haupttreuhandstelle Ost beschlagnahmt und unter kommissarische Verwaltung gestellt. Charlotte Lange wurde als Jüdin als Verwalterin von der Behörde jedoch nicht zugelassen, sie konnte die Verwaltung des Grundstücks jedoch auf ihren nichtjüdischen Ehemann übertragen.

Hermann Littman wurde nach Auskunft von Nachbarn schon zu Beginn der deutschen Besatzung 1941 bei Zwangsarbeit in Kalusz auf der Straße ermordet. In der Stadt waren rund 7.000 Juden in einem Ghetto zusammengepfercht worden, immer wieder kam es aus dem Ghetto heraus zu Massenerschießungen. Vom 15.-17.9.1942 wurden die überlebenden 5.500 Bewohner des Ghettos Kalusz in einer großangelegten Aktion der Sicherheitspolizei aus dem Ghetto in das Vernichtungslager Belzec deportiert und dort ermordet. Das Schicksal von Rachela und Fanny Littmann ist unbekannt; Fanny soll bis zum 23.6.1941 in einem Sanatorium in der Nähe von Slotschew (bei Lemberg) gearbeitet haben, danach verliert sich ihre Spur.

Durch ihre Heirat mit einem sowjetischen Offizier, der in den Ural versetzt wurde, konnte die Tochter Rosa der Ermordung entgehen. Rosa Belkina lebte nach dem Krieg mit ihrer Familie in Riga. Diese bedankte sich 2011 für die Verlegung der Stolpersteine für ihre Angehörigen in Bremen mit dem Ölgemälde „Homo Sapiens“ des lettischen Malers Igor Gengeris. Das Bild, das als Friedensbild verstanden werden kann, ist im Eingangsbereich des Nachbarschaftshauses Helene Kaisen in Gröpelingen zu betrachten.

Christine Nitsche-Gleim (2019)

Informationsquellen:
Informationen von Familienangehörigen
StA Bremen 4,54-E10711, 4,54-E10712, 4,54-E10713, 4,54 E-10714, 4,54-E11955, 4,54-Rü5871, 4,54-Ra1054, 4,54-E1303,
Einwohnermeldekartei; Etinger, Moyse: Kalush,.Our Native Town, www.jewishgen.org; Pohl, Dieter: Nationalsozialistische Judenverfolgung in Ostgalizien 1941-1944. Organisation und Durchführung eines staatlichen Massenverbrechens, 2. Auflage 2014
Weserkurier 14.11.2011, „Angehörige bedanken sich mit einem Friedensbild“

Weitere Informationen:
Glossarbeitrag "Polenaktion"