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Margret Buhlrich, *1941

eingewiesen 6.9.1944 heilanstalt lüneburg
tot 25.1.1945


Seewenjestraße 184
Bremen-Gröpelingen


Seewenjestraße 184 - Weitere Stolpersteine:


Margret Buhlrich


Familienbiografie
Hans Buhlrich
Erika Buhlrich
Margret Buhlrich

Hans, Erika und Margret Buhlrich wurden als Kinder des Schlossers Wilhelm Buhlrich und seiner Ehefrau Johanne, geb. Hartmann, geboren. Bei der Geburt des Sohnes am 1.5.1932 lebte die Familie in der Straße Auf der Lucht 30. Schon bald nach der Geburt der Tochter Erika am 21.5.1936 erfolgte der Umzug in die nahegelegene Seewenjestraße 184.

Im August 1940 wandte sich der Vater an das Gesundheitsamt Bremen und bat „um Heimunterbringung seines Sohnes Hans“. Der Junge leide, so die Notiz der Fürsorgerin, „an Schwachsinn“ und laufe „seit dem Umzug der Eltern […] zum Gespött der Nachbarskinder in der Straße herum. […] Die Schwester Erika hat Ende des ersten Lebensjahres etwas gesprochen. Sie erkrankte dann an Grippe und Lungenentzündung und hat seit der Zeit nicht mehr gesprochen.“ Ein Antrag „zur Untersuchung der ganzen Familie“ sei gestellt. Amtsarzt Otto Rogal schloss sich wenig später der Argumentation der Fürsorgerin an und begrüßte „den Wunsch“ der Eltern, das „Kind in Heimpflege zu bringen“, da Hans eine „sachgemäße Pflege“ brauche und „die Tochter Erika, die ebenfalls Entwicklungsstörungen zeigt, durch sein Verhalten sehr ungünstig beeinflußt wird“. Zudem sei Frau Buhlrich erneut schwanger, durch die Pflege des Sohnes stark belastet und könne sich deshalb der Tochter nicht genügend widmen. Nachdem sich Frau Buhlrich bereit erklärt hatte, etwas zu den Unterhaltskosten beizutragen, schlug der Amtsarzt vor, Hans in der Anstalt Rotenburg unterzubringen. Die Einweisung des Jungen zog sich bis Mitte Januar 1941 hin. Am 18.1.1941 wurde er dann nicht, wie zuerst vorgesehen, in die Rotenburger Anstalten, sondern „durch seinen Vater ins Gertrudenheim eingeliefert“.

Da der größte Teil der Krankenakte verschollen ist, gibt es weder Informationen über Hans Buhlrichs Leben im Gertrudenheim noch in der Heil- und Pflegeanstalt Kutzenberg, in die er fast genau acht Monate später verlegt wurde. Lediglich der Tag seines Todes ist bekannt.

Nach der fast kompletten Auflösung des Gertrudenheims im Kloster Blankenburg bei Oldenburg war Hans am 19.8.1941 in einer Gruppe von insgesamt 180 Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen in die bayerische Heil- und Pflegeanstalt Kutzenberg gebracht worden. Genau die Hälfte von ihnen starb vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Obwohl man einen großen Teil der Kutzenberger Patienten zuvor in den Gasmordanstalten der „Aktion T4“ ermordet hatte, lebten seit 1942 mehr Menschen in der Heil- und Pflegeanstalt als je zuvor. Gleichzeitig stieg die Sterblichkeit auf vorher unbekannte Werte. Wie in den anderen bayerischen Anstalten fand auch in Kutzenberg Ende 1942 der sogenannte Hungererlass Anwendung. In ihm hatte das Bayerische Innenministerium verfügt, dass diejenigen, die keine „nutzbringende Arbeit leisten oder [nicht] in therapeutischer Behandlung stehen“, ebenso wie die bildungsunfähigen Kinder schlechter verpflegt werden sollten. Am 17.10.1942 starb Hans in Kutzenberg. Die offizielle Todesursache lautete „Herzleiden“.

Fast genau zwei Jahre nach dem Tod ihres Bruders wurden die Schwestern Erika (geb. 21.5.1936) und Margret Buhlrich (geb. 3.3.1941) am 6.9.1944 von der Mutter in die Lüneburger „Kinderfachabteilung“ gebracht. Im gesamten Deutschen Reich gab es zwischen 1939 und 1945 mindestens 31 dieser „Kinderfachabteilungen“, in denen etwa 5.000 Kinder eines gewaltsamen Todes starben.

Der „Aufenthalt der Kinder im Bunker [sei] nicht mehr tragbar“, hatte die Bremer Amtsärztin als Einweisungsgrund angegeben, und der „Reichsausschuß“ hatte sich bereit erklärt, einen Teil der entstehenden Kosten zu übernehmen. Sowohl die achtjährige Erika als auch die dreijährige Margret hatten zwar laufen, aber nicht oder nur wenige Worte sprechen gelernt. Bei Erika habe die Entwicklung im Alter von einem Jahr im Anschluss an eine Hirnhautentzündung stagniert, und auch bei Margret sei es im Alter von neun Monaten zum „Stillstand“ der Entwicklung gekommen. Sie sehe und höre „anscheinend normal“, sei aber „wenig interessiert, wenig ausdauernd“ und gehe „mit krummen Knien“. Die Prognose des aufnehmenden Arztes, dass die Geschwister weder „bildungs- noch arbeitsfähig“ seien, kam einem Todesurteil gleich. Mitte Oktober erkrankte Erika, laut Krankenblatteintrag, an Durchfall, Husten, Erbrechen und Fieber. Anfang November bekam sie Ödeme an den Füßen und eine Lungenentzündung. Erika starb am 23.11.1944. Margret, die wie ihre Schwester laufen konnte, lag in Lüneburg schon wenige Wochen nach der Aufnahme dauerhaft „dösend“ oder schlafend im Bett und erkrankte laut Krankenblatteintrag am Tag vor ihrem Tod an Windpocken. Margret starb am 25.1.1945. Beide Kinder wurden auf Wunsch der Eltern auf dem Lüneburger Anstaltsfriedhof beigesetzt.

Gerda Engelbracht (2019)

Informationsquellen:
Die Darstellung der Lebensgeschichten von Hans, Erika und Margret Buhlrich, ebenso wie die ausführlichen Informationsquellen:angaben,
in: Engelbracht, Gerda: Medizinverbrechen an Bremer Kindern und Jugendlichen in der Zeit des Nationalsozialismus,
Frankfurt a.M. 2014

Weitere Informationen:
Glossarbeitrag "Euthanasie" / Zwangssterilisation