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Hulda Bienheim, geb. Grunsfeld, *1872

UNFREIWILLIG VERZOGEN 1940 HANNOVER, DEPORTIERT 1941 GHETTO RIGA
ERMORDET


Rüdesheimer Straße 21
Bremen-Neustadt

Verlegedatum: 09.10.2023


Rüdesheimer Straße 21 - Weitere Stolpersteine:


Hulda Bienheim

Hulda Bienheim

Hulda Bienheim wurde am 25.9.1872 in der kleinen Ortschaft Hebenshausen/Kreis Witzenhausen (Hessen–Nassau) als Tochter des Viehhändlers Isaac Grunsfeld (Jg. 1830) und seiner Frau Pauline, geb. Ganz (Jg. 1844), geboren. Die Familie hatte neun Kinder, von denen vier im Säuglings- bzw. Kleinkindalter starben. Der jüngste und einzige Sohn der Familie fiel 1915 im Ersten Weltkrieg.

1896 heiratete Hulda Grunsfeld Martin Bienheim, der in zweiter Generation gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder Hermann ein Kolonialwarengeschäft in dem kleinen Ort Duingen in der Nähe von Hildesheim betrieb. Dort kamen auch die vier Kinder des Paares zur Welt: nach der Tochter Anna (geb. 1997) die drei Söhne Erich (geb. 1898), Karl Ludwig (geb. 1900) und Walter (geb. 1903).

1914 starb Hulda Bienheims Mann, erst 46jährig. Zum Glück hatte er ihr ein ausreichendes Vermögen hinterlassen und mit Hilfe ihres Schwagers gelang es ihr, das Geschäft aufrecht zu erhalten, bis der jüngste Sohn Walter einsteigen und es mit Unterstützung seines Onkels fortführen konnte. Ihre anderen Kinder verließen als junge Erwachsene das kleine Duingen und die umgebende Region: Anna heiratete 1920 nach Bremen, Erich studierte in Berlin und wurde dort Rabbiner, von 1927 an war er Rabbiner an einer Reformsynagoge in Darmstadt. Und Karl-Ludwig wurde nach seinem Architekturstudium in Hannover und Stuttgart von 1927 bis 1932 bei der Preußischen Regierung als Experte für Landwirtschafts- und Gartenbausiedlungen tätig.

Nach dem Boykott jüdischer Ladengeschäfte und mit zunehmender antisemitischer Hetze und Gewalt begann Walter Bienheim seine Kunden in den umliegenden Dörfern mit dem PKW aufzusuchen. Der zuständige Landrat von Alfeld untersagte ihm dies aber und entzog ihm 1936 seinen Wandergewerbeschein, eine persönliche Schikane auf lokaler Ebene, reichsweit sollte den Juden erst 1938 das sog. Wandergewerbe verboten werden. Walter Bienheim legte daraufhin Beschwerde beim Bezirksverwaltungsgericht Hildesheim ein. Er bekam in erster Instanz Recht, der Hildesheimer Regierungspräsident ging daraufhin in Berufung. Wie das Verfahren ausgegangen ist, ist nicht bekannt. Auf Dauer konnte Walter Bienheim aber dem sich verschärfenden Verfolgungsdruck der Nationalsozialisten, der auf dem Lande besonders stark ausgeprägt war und seiner Familie die wirtschaftliche Existenzgrundlage nahm, nicht standhalten. Ende 1936 verließ er daher mit seiner Familie Duingen und ließ sich in Hannover nieder, wo er noch einmal versuchte, ein Geschäft zu eröffnen.
Im Januar 1937 verließ Hulda Bienheim als letzte jüdische Einwohnerin Duingen und folgte ihrem Sohn nach Hannover, sie zog zu ihm und seiner Familie in die Kronenstraße 37a. Ihr Schwager Hermann Bienheim war nach der Aufgabe des Geschäftes nach Bremen zu ihrer Tochter, seiner Nichte Anna Grünberg gezogen. Er starb im Februar 1937 im Krankenhaus St.-Joseph-Stift.

1939 emigrierte Hulda Bienheims Sohn Erich nach England, er wirkte nach dem Krieg als Rabbiner zunächst an einer Londoner Synagoge und von 1949 an der Reformsynagoge in Bradford. Angesichts der bevorstehenden Auswanderung ihres Sohnes Walter Bienheim – er konnte im Januar 1940 mit seiner Familie in die USA emigrieren – musste sich Hulda Bienheim eine neue Bleibe suchen. Ab August 1939 lebte sie an wechselnden Aufenthaltsorten, zuletzt bei ihrer Schwester Frieda Poli in Petershagen bei Minden, bevor sie im Dezember 1939 zu ihrer Tochter Anna Grünberg und deren Familie nach Bremen in die Rüdesheimer Straße 21 zog.

Familienmitglieder berichteten, dass Hulda Bienheim sich schon früh mit dem Gedanken an eine Emigration nach Palästina getragen habe, wohin ihr Sohn Erich und seine Frau 1934 ausgewandert waren. Karl Ludwig Bienheim hatte aufgrund seiner Ausbildung und beruflichen Erfahrung die allerbesten Voraussetzungen für ein Leben in Palästina: bereits 1938 war er Chefarchitekt der Hewer Hawku 20th, einer Gruppe von 80 landwirtschaftlichen Siedlungen. Hulda Bienheim kannte das Land, 1939 war sie dort zu Besuch. Sie soll auch schon im Besitz eines Affadits, der Bürgschaft eines Bürgers des Aufnahmelandes, einer notwendigen Voraussetzung für die Einreise in das britische Mandatsgebiet, gewesen sein. Warum sie davon keinen Gebrauch machen konnte oder wollte, ist nicht bekannt.

Im Mai 1940 verließ Hulda Bienheim Bremen und zog nach Hannover in das Altersheim des „Israelitischen Verein für Altersversorge und Krankenpflege“ in der Ellernstraße 16, das dem Jüdischen Krankenhaus angegliedert war. Im September/Oktober 1940 kam sie noch einmal für vier Wochen auf Besuch zu ihrer Familie nach Bremen zurück. Anfang September 1941 wurde der gesamte Gebäudekomplex Jüdisches Krankenhaus/Altersheim zum „Judenhaus“ erklärt, die Belegung verdoppelte sich dort innerhalb eines Jahres von 90 auf 170 Personen, so dass die Menschen in qualvoller Enge leben mussten. Mit der ersten Judendeportation aus Hannover am 15.12.1941 wurden 52 von ihnen ins Ghetto Riga deportiert, darunter auch Hulda Bienheim. Über das Datum und die Umstände ihrer Ermordung ist nichts bekannt. Einen Monat vor ihrer Deportation war die Familie ihrer Tochter Anna Grünberg ins Ghetto Minsk verschleppt worden, keiner überlebte.

Hulda Bienheims Schwestern Jenny Oppenheim (Theresienstadt), Minna Rosenstein(Sobibor) und Frieda Poli (Treblinka) überlebten den Holocaust nicht, wie auch die Mehrzahl ihrer Kinder. Einzig ihre Schwester Gitta (Gidel) Löwenstein konnte sich noch Ende 1940 in die USA retten.

Christine Nitsche-Gleim (2023)

Informationsquellen:
StA Bremen Einwohnermeldekartei
www.heimatgeschichte-hebenshausen.de/judentum/, (letzter Zugriff 06/2023)
Gelderblom, Bernhard: Geschichte.Bewusst.Sein. Biographien von Opfern der Deportationen aus Nordwestdeutschland zwischen 1941 und 1945: Hulda Bienheim, unter: geschichte-bewusst-sein.de/biografien/hulda-bienheim-geb-grunsfeld (letzter Zugriff 06/2023)
Buchholz, Marlies: Die hannoverschen Judenhäuser. Zur Situation der Juden in der Zeit der Ghettoisierung und Verfolgung 1941-1945, Hildesheim 1987, S. 111-121
Novemberpogrome 1938 in Niedersachsen Duingen, unter: www.pogrome.1938.niedersachsen.de/duingen (letzter Zugriff 06/2023)
www.joodsmonument.nl
Jüdisches Leben in Minden und Umgebung unter: www.juedisches-leben.kommunalarchiv-minden.de (letzter Zugriff 06/2023)