Bertine Denker, *1899
EINGEWIESEN 1943 BREMER NERVENKLINIK, ´VERLEGT` 26.11.1943 ´HEILANSTALT` WEHNEN,
ERMORDET 10.11.1944
Apfelallee 8
Bremen-Oberneuland
Verlegedatum: 23.10.2024
Bertine Denker
Bertine Denker, Betty gerufen, wurde am 9.11.1899 in Rockwinkel 131 (Oberneuland) geboren, Tochter von Steffen Denker (geb. 1877 Oberneuland) und seiner Frau Wilhelmine, geb. Böck (geb. 1877 Vehlage Kr. Lübbecke). Mit Bertine als ältester Tochter, gab es acht Geschwister, von denen vier nicht die Volljährigkeit erreichten.
Bertine Denker arbeitete nach Ende der Schulzeit als Dienstmädchen, Bauernmagd oder fand eine Beschäftigung als Arbeiterin. Zwischen 1914 bis 1920 wechselte sie häufig ihren Wohnort in Bremen und im Umland, vermutlich geschah dies in Abhängigkeit von ihren jeweiligen Beschäftigungsverhältnissen. In dieser Zeit trat zum ersten Mal eine Veränderung in ihrem Verhalten auf. Die später diagnostizierte Schizophrenie, zunächst benannt als Dementia praecox, galt als Erbkrankheit. Mütterlicherseits waren ähnliche Erkrankungen bekannt.
Mit 19 Jahren wurde sie Mutter. Ihren Sohn nannte sie Alfred (geb. 24.11.1918 Rockwinkel). Zum Vater machte Bertine Denker wechselnde Angaben, das Jugendgericht übernahm deshalb die Vormundschaft für das uneheliche Kind.
1921 zog Bertine Denker zu den Eltern in die Apfelallee 8 (Oberneuland). Das Ausmaß ihrer Erkrankung machte 1925 eine zeitlich begrenzte Betreuung von vier Monaten im St.-Jürgen-Asyl (heute Klinikum-Ost) notwendig. Anscheinend blieb das Asyl weiterhin Ansprechpartner.
Als sie im Jahr darauf zum zweiten Mal schwanger wurde, veranlasste das St. Jürgen-Asyl im November 1926 die Überweisung an das Evangelische Diakonissenhaus für eine Schwangerschaftsunterbrechung, die aus unbekannten Gründen nicht durchgeführt wurde. Kurz darauf erfolgte ihre stationäre Aufnahme im St. Jürgen-Asyl und drei Monate später, am 13.3.1927, wurde sie von Zwillingen entbunden. Auch dieses Mal machte sie keine Angaben zu dem Vater der Zwillinge, wie deren älterer Bruder wurden auch sie unter Amtsvormundschaft gestellt.
Zur Vorbeugung weiterer Schwangerschaften wurde 1927 zur Sterilisation geraten. Bertine Denkers Vater erklärte sich am 23.3.1927 einverstanden. Die Durchführung erfolgte nicht sofort, sondern erst 1936, neun Jahre später.
Bertine Denker blieb bis Herbst 1933 im St. Jürgen-Asyl. Langsam trat eine gesundheitliche Besserung ein, letztendlich war sie soweit hergestellt, dass sie bei Feldarbeiten eingesetzt werden konnte. Die Eltern stellten einen Antrag auf Entlassung, Bertine galt nicht als geheilt, dennoch war das Leben in der Familie wieder möglich.
Die Nationalsozialisten sahen in der Schizophrenie eine Erbkrankheit, die nach ihrer rassenhygienischen Ideologie eine „Minderwertigkeit“ darstellte. Wegen der erblichen Vorbelastung fiel Bertine Denkers 17-jähriger Sohn damit unter das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses und stand schon früh unter Beobachtung. Obwohl bei ihm keine Auffälligkeiten zu beobachten waren, musste er sich 1935 auf Veranlassung des Jugendamts medizinisch untersuchen lassen.
Der nächste Schub der Schizophrenie bei Bertine Denker zeigte sich Anfang 1942. Sie zu betreuen überstieg die Möglichkeiten in der Familie. Am 16.2.1943 wurde sie mit einem Krankenwagen, in Begleitung eines Polizisten, erneut in die Klinik eingeliefert. Ihr Sohn Alfred, inzwischen diente er als Soldat an der Front, war erleichtert, sie dort mit fachgerechter Betreuung zu wissen. In der Krankenakte sind Dokumente enthalten, die seitens des „Polizeipräsidenten“ eine „zwangsweise Unterbringung und Zurückhaltung“ in einer Nervenheilanstalt anordneten, zunächst in Bremen, danach in Wehnen (bei Oldenburg).
Als nach einem Bombenangriff 1943 die Bremer Nervenklinik maßgeblich beschädigt wurden, fiel die Entscheidung aus Platzgründen Patienten auf andere Kliniken zu verteilen. Dies betraf auch Bertine Denker. Ihre Verlegung in die Heil- und Pflegeanstalt Wehnen (die heutige Karl-Jaspers-Klinik Wehnen) fand am 26.11.1943 statt, zusammen mit 180 weiteren Bremer Patienten.
Nahezu fast alle dieser Patienten verstarben bis August 1944, viele infolge von Unterernährung. Eine sozialpolitische Entscheidung zur Mangelernährung von „volkswirtschaftlich unproduktiven“ Insassen und ein umfangreiches Sparkonzept führten zu einer bewussten Hungerkost. In Wehnen gehörte der Hunger zum Alltag.
Dazu kam die Überbelegung der Einrichtung ab 1939, als die auf 400 Betten ausgelegte Einrichtung nach und nach bis zu 1200 Patienten versorgen musste. Bertine Denker verstarb nach einem knappen Jahr Aufenthalt am 10.11.1944, angeblich an Herz- und Kreislaufschwäche.
Kornelia Renemann (2024)
Informationsquellen:
StA Bremen Einwohnermeldekartei
NLA OL, Rep 635 Akz. 351997 Nr. 7966
Engelbracht, Gerda: Der tödliche Schatten der Psychiatrie, Die Bremer Nervenklinik 1933-1945, Bremen 2002
Weitere Informationen:
Glossarbeitrag "Euthanasie" / Zwangssterilisation
Glossarbeitrag "Heilanstalten"