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Glossar

Rassengesetzgebung des NS-Regimes

Der Antisemitismus, d. h. die Judenfeindschaft, war bereits im Parteiprogramm der NSDAP von 1920 als konstitutives Ziel verankert. Mit der Machtergreifung stellte sich für das Regime die Aufgabe, für die angestrebte Gesetzgebung zu bestimmen, wer „Jude“ wäre.

Zunächst regelte das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7.4.1933 (RGBl. I, S.188f.) in § 3 u.a., „dass Beamte nicht arischer Abstammung in den Ruhestand zu versetzen“ seien (sog. „Arierparagraph“). Nach der dazu ergangenen Ausführungsverordnung waren „nicht arischer Abstammung“ alle Personen, die mindestens einen jüdischen Eltern- oder Großelternteil hatten; als „jüdisch“ galt dabei, wer der jüdischen (mosaischen) Religion angehörte. Alle Beamten hatten deshalb Abstammungsnachweise beizubringen, aus denen sich die Religionszugehörigkeit der Vorfahren ergab. Viele private Unternehmen und Vereine schlossen sich dieser Praxis an.

Die „Nürnberger Gesetze“ vom 15.9.1935 (RGBl. I, S.1146 ff.) zielten auf eine umfassende Umsetzung der antisemitischen Ziele des NS-Regimes und bildeten die Grundlage für alle weiteren Verfolgungsmaßnahmen. In ihren begrifflichen Unterscheidungen wurde der „Rassenwahn ... zum Klassifikationswahn einer ... bürokratischen Maschinerie“ (Cornelia Essner).

Nach dem Reichsbürgergesetz waren „Reichsbürger“ nur Staatsangehörige „deutschen oder artverwandten Bluts“; Juden hatten danach keine politischen Rechte mehr, besaßen aber (noch) die deutsche Staatsangehörigkeit.

Unmittelbare Folgen hatte das „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“, in dem nicht mehr von „Nichtariern“, sondern von „Juden“ die Rede war. Es verbot Ehen und außerehelichen Verkehr zwischen Juden und Staatsangehörigen „deutschen oder artverwandten Blutes“ (schuf somit den Straftatbestand der „Rassenschande“), und es verbot die Beschäftigung weiblicher Staatsangehöriger „deutschen oder artverwandten Blutes“ unter 45 Jahren in jüdischen Haushalten und die Verwendung der Reichssymbole durch Juden.

Auch hier wurden die praktisch wichtigen Unterscheidungen durch eine Ausführungsverordnung getroffen. Die „Nichtarier“ waren danach in

„Juden“ (d. h. Personen mit drei oder vier jüdischen Großeltern, auch als „Volljuden“ bezeichnet) sowie Personen, die zwei jüdische Großeltern hatten und am 15. 9. 1935 der jüdischen Religion angehörten oder mit einem Juden verheiratet waren – sog. „Geltungsjuden“),
„Mischlinge 1. Grades“ (d. h. Personen, die zwei jüdische Großeltern hatten und am 15. 9. 1935 weder der jüdischen Religion angehörten noch mit einem Juden verheiratet waren, auch als „Halbjuden“ bezeichnet) sowie
„Mischlinge 2. Grades“ (d. h. Personen mit nur einem jüdischen Großelternteil)

unterschieden.

Bei Eheschließungen wurde ein u.a. an den Kriterien der „Nürnberger Gesetze“ orientierter „Ehefähigkeitsnachweis“ verlangt. Eheschließungen zwischen „Ariern und Mischlingen 1. Grades“ waren genehmigungspflichtig. Die Erbringung von Abstammungsnachweisen führte zu zahlreichen rechtlichen Streitfragen. „Mischlinge“ unterlagen zwar nicht den für Juden geltenden Gesetzen; „Mischlinge 1. Grades“, hatten aber unter zunehmend härteren Diskriminierungen zu leiden und bemühten sich deshalb häufig vor Gericht oder auf anderem Wege um eine Statusverbesserung. Die „Nürnberger Gesetze“ zogen deshalb zahlreiche Änderungen der sie ergänzenden Ausführungsbestimmungen sowie eine umfangreiche Rechtsprechung nach sich.

Vor dem 15.9.1935 zwischen „Ariern“ und Juden geschlossene Ehen („Mischehen“) wurden zwar von den „Nürnberger Gesetzen“ nicht tangiert, zogen aber schwerwiegende staatliche und gesellschaftliche Diskriminierung nach sich. Ende 1938 wurde die amtliche Unterscheidung zwischen „privilegierten“ und „nicht privilegierten Mischehen“ eingeführt. „Nicht privilegiert“ war eine „Mischehe“ etwa dann, wenn die Kinder jüdisch erzogen waren oder der nichtjüdische Partner zum Judentum konvertiert war. Die Privilegierung hatte u.a. zur Folge, dass die Familie nicht in ein „Judenhaus“ ziehen und der jüdische Partner keinen „Judenstern“ tragen musste. Endete die Ehe, unterlag der jüdische Partner der Deportation. Die jüdischen Partner der „Mischehen“ wie später auch „jüdisch Vesippte“ (d. h. die nichtjüdischen Ehepartner aus Mischehen) wurden im Laufe des Krieges zu Zwangsarbeit herangezogen. Seit Anfang 1945 wurde auch in bestehende „Mischehen“ eingegriffen und jüdische Ehepartner wurden in das Lager Theresienstadt deportiert.

Die Klassifizierung einer Person als „Jude“ wurde nicht von ihrer persönlichen religiösen Zuordnung berührt; Juden christlichen Glaubens galten rechtlich als „Juden“ und konnten auch von ihren Kirchengemeinden nicht vor der Deportation bewahrt werden.


Quellen / Weitere Informationen:
Peter Weingart/Jürgen Kroll/Kurt Bayertz, Rasse, Blut und Gene – Geschichte der Eugenik und Rassenhygiene in Deutschland, Frankfurt am Main 1988

Raul Hilberg, Die Vernichtung der europäischen Juden, dtsch. Taschenbuchausg.,Bd. 1, Frankfurt am Main 1990, S. 69-84

Saul Friedländer, Das Dritte Reich und die Juden, Bd. 1. Die Jahre der Verfolgung, 1933 – 1939, München 1998

(deutsche Übersetzung nach der Ausgabe New York 1997), S.162 ff.

Cornelia Essner, Die „Nürnberger Gesetze“ oder die Verwaltung des Rassenwahns 1933 – 1945, Paderborn 2002

Wikipedia-Artikel „Mischehe (Nationalsozialismus)“


Michael Cochu (2011)


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