Glossar
Reichsvereinigung der Juden in Deutschland
Die „Reichsvertretung der deutschen Juden" wurde 1933 gegründet, doch bereits 1938 wieder verboten. Am 4. Juni 1939 wurden alle jüdischen Verbände und jüdischen Gemeinden aufgrund der 10. Verordnung zum Reichsbürgergesetz (1939) zwangsweise in die „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland" (RVJD) überführt. Sie war dem Reichssicherheitshauptamt direkt unterstellt, die regionalen Zweigstellen unterstanden den jeweiligen Gestapostellen. Alle Personen, die nach den „Nürnberger Gesetzen“ als Juden galten, mussten ihr beitreten und Pflichtbeiträge entrichten.
Hauptaufgabe der RVJD war zunächst die Förderung der Auswanderung, hinzu kamen die Organisation des Schulwesens sowie Maßnahmen der Berufsausbildung und -umschichtung. Mit der wachsenden Verelendung der Juden, insbesondere älterer Menschen, trat die Fürsorge in den Vordergrund. Sie richtete u.a. Heime und Suppenküchen ein. Ab Ende 1941, mit dem Auswanderungsverbot, kam die fatale, erzwungene Mitwirkung bei der Organisation der Deportationen hinzu. Die RVJD führte eine Zentralkartei aller Juden, deren sich u.a. die Gestapostellen bedienten. Auf Anweisung und nach Vorgaben waren Deportationslisten aufzustellen. Die Kosten für die Abtransporte waren von den Opfern einzutreiben und an die Gestapo zu überweisen. Andererseits war die RVJD Arbeitgeber für über 6.000 Juden, die dadurch der Zwangsarbeit entgingen, ein Einkommen besaßen und vor der Deportation geschützt waren.
Zum 10.6.1943 wurde die Reichsvereinigung per Erlass aufgelöst; mit der Verwaltung des restlichen Vermögens wurden die Oberfinanzpräsidenten beauftragt. Die letzten Leiter der Vereinigung, Leo Baeck und Paul Eppstein, wurden nach Theresienstadt deportiert.
Die Israelitische Gemeinde Bremen unterstand der Bezirksstelle Nordwestdeutschland der Reichsvereinigung in Hamburg. Sie war auch zuständig für die Juden in Schleswig-Holstein, Oldenburg, in den Regierungsbezirken Stade, Lüneburg und Mecklenburg und später noch für die in Hannover und Hildesheim. Ihr Leiter war Max Plaut. Die Gestapo ließ ihn 1943 nach Palästina ausreisen. 1950 übersiedelte er nach Bremen, wo er stellvertretender Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde wurde. 1965 kehrte er nach Hamburg zurück. Die Bremer Gemeinde musste 1942 nahezu ihr gesamtes Vermögen (über 400.000 RM) der RVJD übertragen.
Das Wirken der Reichsvereinigung wird als ambivalent gewertet. Unbestreitbar ist, dass die jüdischen Funktionäre zu Instrumenten der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik wurden. "Die meisten von ihnen waren dabei vom besten Willen beseelt und versuchten den jüdischen Menschen zu helfen, soviel sie konnten. Daneben gab es sicher auch die Selbstsucht von Menschen, die hofften, durch beflissene und rücksichtslose Erfüllung der Gestapobefehle die eigene Haut zu retten. Aber ebenso wie die uneigennützigen Leiter und Funktionäre konnten sie - zu Recht oder Unrecht, wer kann sie heute richten? - ihre Handlungen damit rechtfertigen, dass die noch verbliebenen jüdischen Menschen weiterhin betreut und versorgt werden müssten." (Barkai et.al., S. 342)
Quellen / Weitere Informationen:
Beate Meyer, Die erzwungene Mitwirkung der "Reichsvereinigung der Juden in Deutschland" an den Deportationen, in: Herzog/Rademacher (Hg.), Die Geschichte der Juden, Hamburg 2007
Avraham Barkai, Paul Mendes-Flohr, Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, Band 4, München 1997
Jäckel u.a. (Hg.) Enzyklopädie des Holocaust, München-Zürich 1998
Bruss, Regina, Die Bremer Juden unter dem Nationalsozialismus. Veröffentlichungen aus dem Staatsarchiv der Freien Hansestadt Bremen, Bd.49, Bremen 1983
http://www.dhm.de/lemo/html/nazi/antisemitismus/reichsvereinigung/index.html
Peter Christoffersen (2011)