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Selma Beverstein, geb. Rotschild, *1884

deportiert 1942 nach Theresienstadt
ermordet in Auschwitz


Vor dem Steintor 155
Bremen-Östliche Vorstadt

Selma Beverstein

Selma Beverstein

Selma Beverstein wurde am 4.8.1884 in Oldenburg als Tochter von Andreas Rothschild (1856 -1934) und seiner Ehefrau Jentje (gen. Henriette), geb. van der Rhoer (1860-1942), geboren. Sie lebte zunächst in Berlin und kam 1908 nach Bremen.

Sie erwarb 1920 das Haus Vor dem Steintor 155, in dem sie ein Putzmachergeschäft eröffnete, wo sie handgefertigte Hüte und Accessoires anbot. Um 1925 hat sie ihr Geschäft um Weißwaren, d. h. Tisch- und Bettwäsche vor allem für die Aussteuer, erweitert.

Selma Rothschild heiratete am 11.8.1933 Robert Beverstein (geb. 1885 in Bevern/Krs. Holzminden). Er hatte eine Ausbildung als Architekt, arbeitete in Bremen zunächst als Grundstücksvermittler und vom 7.5.1934 bis zum 8.4.1935 als Vertreter. Bereits im Sommer 1934 war er wieder nach Holzminden zurückgezogen. Die Ehe wurde nach seinem Fortgang aus Bremen geschieden. Robert Beverstein nahm sich am 9.8.1937 das Leben.

Im Haus Vor dem Steintor 155 wohnten seit 1915 auch Selmas Eltern sowie ab 1934 ihre Schwester Hedwig Lohmann mit Ehemann. 1916 wird im Adressbuch ihr Bruder Moritz als Mieter der Geschäftsräume für sein Partiewarengeschäft aufgeführt, das er zuvor in der Großen Johannisstraße 112 betrieben hatte.

Ab 1925 vermietete Selma Beverstein die Geschäftsräume an den Besitzer des Nachbarhauses Vor dem Steintor 153, der dort ein Bekleidungsgeschäft betrieb (Firma Holst & Bremer). Der Vertrag wurde über eine Laufzeit von 10 Jahren abgeschlossen. Die neuen Mieter erhielten das Recht, die Geschäftsräume baulich zu verbinden.

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 begann dieser Mieter, die ursprünglich vereinbarte Miete erheblich zu reduzieren; 1935 betrug sie nur noch ein Drittel der Vertragssumme. Als Begründung wurde angegeben, dass die Firma „Juden nicht so viel Miete zahlen dürfte“. Sofort – noch am Tag nach der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10.11.1938 – erhielt Selma Beverstein ein Schreiben der Fa. Holst & Bremer, in dem es hieß: „Wir erlauben uns Ihnen vorzuschlagen, uns Ihr Grundstück Vor dem Steintor 155 möglichst sofort gegen bar zu verkaufen“. Bereits am Nachmittag desselben Tages erschien ein Bote von Holst und forderte die Eigentümerin erneut zum sofortigen Verkauf auf. Richard Holst drängte kontinuierlich auf Verkauf und drohte mit sonst angeblich unvermeidlicher Beschlagnahme des Hauses, die dann ohne finanzielle Entschädigung durchgeführt werden würde. Dieses überaus agressive Verhalten von Holst dürfte auf seine Funktion als Leiter der Bezirksfachgruppe Bekleidung der Einzelhandelsabteilung bei der Bremer Handelskammer (1933­ – 1945) zurückzuführen sein, zumal er dort insbesondere für die „Arisierung“ der jüdischen Bekleidungsgeschäfte zuständig war. Erst seit 1937 war er NSDAP-Mitglied.

Derart unter Druck gesetzt, berieten sich die verängstigten und auf sich allein gestellten Schwestern Selma Beverstein, Rosa Wolf, Mathilde ter Berg und Hedwig Lohmann. Selma Beverstein war verwitwet, und die Ehemänner Wolf und ter Berg – verhaftet in der Reichspogromnacht – waren im KZ Sachsenhausen. Nur Heinrich Lohmann befand sich – als Nichtjude in der Pogromnacht auch nicht verhaftet – auf freiem Fuß, war allerdings auf Reisen. Selma Beverstein gab schließlich entnervt dem Druck nach, so jedenfalls berichtete sie später einer Bekannten im Ghetto Theresienstadt, und schloss am 29.11.1938 den Grundstückskaufvertrag ab. Ihr wurde ein Wohnrecht von einem Jahr in dem Haus eingeräumt, danach konnte ihr jederzeit gekündigt werden.

Der „Arisierer“ Holst wurde 1940 von Heinrich Lohmann, der in dem Haus zur Miete wohnte, verklagt, eine Tafel im Eingangsbereich zu entfernen. Auf dieser waren die Mietparteien aufgeführt und unter dem Namen von Heinrich Lohmann stand der Zusatz „Ehefr.: Sara Hedwig geb. Rothschild“ – dahinter ein Davidstern. In seiner Verteidigungsschrift bekannte sich Holst als Judengegner; dies aus politischer Überzeugung und als Selbstverständlichkeit, „da dies jedem deutschen Volksgenossen eigen sei“. Mit dem Schild wolle er zum Ausdruck bringen: „Hier wohnt eine Jüdin, wir müssen sie bei uns dulden, aber wir sind nicht damit einverstanden.“ Holst gewann den Prozess und beließ die Tafel an ihrem Platz. Lohmanns zogen im April 1942 aus.

Nachdem die Jahresfrist für Selma Beverstein im Haus verstrichen war, wurde ihr offenbar gekündigt, denn ab dem 1.11.1939 war sie mit ihrer Mutter im Jüdischen Altersheim in Bremen-Gröpelingen, Gröpelinger Heerstraße 167, gemeldet. Ihre Mutter verstarb hier am 12.1.1942, 82-jährig. Am 6.11.1939 überwies Selma Beverstein über die Israelitische Gemeinde 7.000 Reichsmark (RM) an die Reichsvereinigung der Juden. Vermutlich handelte es sich um eine zwangsweise erhobene Heimeinkaufszahlung, da sie schließlich – erst 53-jährig – in das Jüdische Altersheim einzog. Sicher wollte sie ihre Mutter nicht allein lassen.

Am 23.7.1942 wurde Selma Beverstein mit allen anderen Bewohnern des Jüdischen Altersheimes in das Ghetto Theresienstadt und am 15.5.1944 von dort aus weiter in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. In ihrem Transport, der Auschwitz am 16.5.1944 erreichte, befanden sich 2.503 Juden. Die Ankömmlinge wurden zunächst im Theresienstädter „Familienlager BIIb“ in Auschwitz-Birkenau untergebracht. Der Tag der Räumung des Lagers und der Ermordung seiner Insassen ist nicht bekannt.

Ihre Schwestern Rosa Wolf mit Ehemann und Mathilde ter Berg mit Ehemann sowie Tochter wurden am 18.11.1941 in das Ghetto Minsk deportiert. Niemand überlebte. Ihr Bruder Moritz, der 1933 in die Niederlande emigrierte, wurde mit seiner Ehefrau 1943 im Vernichtungslager Sobibor ermordet. Hedwig Lohmann kam – obwohl nichtjüdisch verheiratet – noch im Februar 1945 in das Ghetto Theresienstadt und wurde dort befreit. Sie kehrte im Sommer 1945 nach Bremen zurück.

An ihre Schwester Rosa und ihren Schwager Richard Wolf erinnern Stolpersteine in der Nordstraße/in Höhe der Haltestelle Grenzstraße. Für ihre Schwester Mathilde ter Berg, deren Ehemann Elias und deren Tochter Jenny wurden Stolpersteine in der Arndtstraße 2 verlegt.

Peter Christoffersen (2016)

Informationsquellen:
StA Bremen 4,54-E11060, 4,54-E10734, 4,54-Ra27, Einwohnermeldekartei, www.joodsmonument.nl

Abbildungsnachweis: Privatbesitz

Weitere Informationen:
Glossarbeitrag "Arisierung"
Glossarbeitrag Theresienstadt
Glossarbeitrag Auschwitz