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Aron Aronsohn, *1859

"Schutzhaft" 1938, Deportiert 1941, Theresienstadt
Tot 22.8.1942


Bulthauptstraße 36
Bremen-Schwachhausen

Verlegedatum: 11.10.2013

Aron Aronsohn

Aron Aronsohn

Der Sackgroßhändler Aronsohn brachte 1902 den bremischen Senat in Erklärungsnot. Der Senat musste seine Einbürgerung gegenüber dem preußischen Staat rechtfertigen, ohne sich dabei politisch positionieren zu wollen.

Aron Hirsch Aronsohn (auch Orel Hirsch) war der Sohn von Salomon und Sara Aronsohn, geb. Leviedtke, und wurde am 15.3.1859 in Retowo/Litauen geboren. Er wanderte im Mai 1886 aus Danzig ein, der damaligen Hauptstadt Westpreußens. Im Juli desselben Jahres heiratete er Selma Joachim (geb. 6.6.1856) in Danzig, ihrem Geburtsort. Ein Jahr später wurde ihr einziges Kind geboren, Malli (1887-1907). Selma Aronsohn verstarb am 31.5.1931. Ihr Grabstein sowie der ihrer Tochter sind auf dem jüdischen Friedhof in Bremen- Hastedt erhalten geblieben.

Aus dem Königreich Preußen wurden 1885/86 etwa 35.000 russische und österreichische Staatsangehörige ausgewiesen, davon waren etwa 10.000 Juden. Dies erregte im In- und Ausland große Empörung. Vermutlich war auch Aron Aronsohn von dieser Maßnahme betroffen. Zur selben Zeit wurden die preußischen Behörden angewiesen, jüdischen Einwanderern aus dem russischen Teil Polens und aus Galizien die Naturalisation (Einwanderung) zu versagen. 1901 fragte die Königlich Preußische Gesandtschaft in Hamburg beim Bremer Senat an, ob Aronsohn hier bereits naturalisiert worden sei, da er aus „inneren politischen Gründen“ ausgewiesen worden war. Sofern er in Bremen eingebürgert wäre, könne er nicht mehr vom preußischen Staatsgebiet abgewiesen werden. Der Hinweis kam zu spät, Aronsohn war schon am 2.12.1900 in Bremen eingebürgert worden. Der Senat missbilligte die preußische Haltung, wollte dies aber nicht explizit zum Ausdruck bringen. So verwies man auf einen Bericht der Polizeidirektion, dass es keinerlei Anhaltspunkte gegeben habe, dass Aronsohn wieder nach Preußen zurück wolle. Außerdem sei dem Senat keine Mitteilung über die Haltung Preußens bezüglich der Naturalisation von Juden zugegangen. Der Protest gegen die preußische Haltung wurde wohlabgewogen formuliert: „Was den Grundsatz selbst anbelangt, so will der Senat übrigens nicht unterlassen zu bemerken, daß ihm dessen ausnahmslose Durchführung nicht unbedenklich erscheint.“

Am 4.12.1895 meldete „Orel Hirsch gen. Aron Aronsohn“ der Kammer für Handelssachen die Gründung seiner Firma für „Säcke und Futtermittel“ an. Nach den Ausführungen von Max Markreich, dem langjährigen Vorsteher der Israelitischen Gemeinde Bremen, legte Aronsohn den Grundstein der Sackindustrie in Bremen. Insbesondere führte er den Handel mit gebrauchten Jutesäcken ein. Seine Großhandlung mit Sortieranstalt befand sich im Packhaus Hinter der Mauer 3. Markreich übernahm Mitte Dezember 1912 Aronsohns Sackgroßhandlung, die er mit seinem Bruder Fritz zu einem großen Unternehmen ausbaute.
Aron Aronsohn muss auch in der Israelitischen Gemeinde Bremen anerkannt und aktiv gewesen sein, da er Ende 1915 für einen Interimsvorstand als stellvertretender dritter Vorsteher gewählt wurde. Mit der Neuwahl des Vorstandes 1916 wurde Max Markreich dieses Amt übertragen.

Die Familie Aronsohn lebte viele Jahre Am Brill 26/28. In der Bulthauptstraße erwarb sie 1925 das Haus Nr. 36, das bereits seit 1910 von ihr bewohnt wurde. Aron Aronsohn war wohlhabend und hatte hohe Beträge in Hypotheken für Geschäftshäuser in der Obern- und Sögestraße angelegt. Die Inflation nach dem Ersten Weltkrieg dezimierte sein Vermögen und damit seine Altersversorgung erheblich. Vermutlich lebte er später überwiegend von den Mieteinnahmen aus seinem Wohnhaus.

Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 musste er unter dem Druck der Verhältnisse sein Wohnhaus am 30.9.1935 verkaufen. Der Taxwert des Hauses belief sich auf 26.000 RM. Der Im- u. Exportkaufmann Karl H. Borcherding erwarb das Anwesen für 19.200 RM. Der Verkauf wurde von der Speditionsfirma Neukirch für eine Provision von 576 RM vermittelt. Diese Firma profitierte erheblich von der Flucht der jüdischen Bevölkerung aus Bremen. Für den Kaufbetrag war Ratenzahlung vereinbart worden, die Aronsohn zur Finanzierung seines Lebensabends benötigte. Er war zu diesem Zeitpunkt bereits sehr kränklich und konnte den Weg zum Notar nicht antreten. Er fand eine jüdische Familie in der Hohenlohestraße, die ihm gegen Bezahlung Unterkunft gab, ihn versorgte und pflegte.

Im April 1938 musste er wieder ausziehen und wurde vom Ehepaar Heidemann aufgenommen (Außer der Schleifmühle 77). Seine Hinfälligkeit wird aus zwei kaum noch leserlichen Unterschriften deutlich, die auf Quittungen erhalten geblieben sind. Er erhielt 1938 noch 6.157 RM in bar aus dem Hausverkauf ausbezahlt; wie weit er über das Geld verfügen konnte oder ob er damit Zwangsabgaben bestreiten musste, ist nicht mehr zu klären. Die letzte Rate aus dem Hausverkauf ging an das Deutsche Reich, da Aronsohn zu diesem Zeitpunkt bereits deportiert worden war.

Seiner Einwohnermeldekarte ist zu entnehmen, dass er noch im Jahre 1936, inzwischen 76 Jahre alt, eine Kohlenvertretung anmeldete, die aber im November 1938 wieder aufgegeben werden musste. Im Zuge der Reichspogromnacht im November 1938 gehörte auch er – mittlerweile 78 Jahre alt – zu den deportierten Männern, die im KZ Sachsenhausen inhaftiert waren. Die Dauer seiner Haft ist nicht bekannt. Im Alter von 80 Jahren zog er am 30.5.1939 in das Jüdische Altersheim, Gröpelinger Heerstraße 167.

Mit der Räumung und Deportation der Bewohner des Jüdischen Altersheimes kam auch der nunmehr 83-jährige Aron Aronsohn am 23.7.1942 in das Ghetto Theresienstadt.Bereits einen Monat später erlag er den Entbehrungen und verstarb am 22.8.1942. Die Ghetto-Todesfallanzeige führt Alters- und Herzschwäche als Todesursache auf.

Der Notar des Kaufvertrages von 1935 Dr. Diethe vertrat den Arisierungsprofiteur Borcherding 1950 gleichfalls im Rückerstattungsverfahren. Über das Schicksal von Aronsohn bemerkte der Notar lediglich, dass A. „wegen des Krieges [...] verhaftet worden sei.“ Die schamlose Verleugnung der Vergangenheit wird auch in seiner Darstellung der Situation der Juden in Bremen fortgesetzt: Ich weise daraufhin, dass damals wohl eine starke Propaganda gegen die Juden betrieben wurde. Gesetzlich war aber bis zur Verkündung der Nürnberger Gesetze gar nichts geschehen, und auch danach sind die Juden noch nicht unmittelbar beeinträchtigt worden. Gerade hier in Bremen hatten z. B. die jüdischen Geschäfte bis Ende 1938 ungehindert ihre Läden offen halten können und sind nicht allgemein boykottiert worden. Man hatte die Juden nur an der Ausübung gewisser Berufsarten gehindert.

Peter Christoffersen (2017)

Informationsquellen:
StA Bremen 4,54-Ra2005, 4,75/5-105, 4,13/5-14 Nr.141, Einwohnermeldekartei
Markreich, Max: Geschichte der Juden in Bremen und Umgebung, Bremen 2003
www.holocaust.cz (Todesfallanzeige)

Weitere Informationen:
Glossarbeitrag "Arisierung"
Glossarbeitrag Theresienstadt