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Kurt Ahron, *1914

FLUCHT 1936 HOLLAND, ESTERWEGEN 1936, FLUCHT 1939 BELGIEN, INTERNIERT DRANCY, DEPORTIERT 1942,
ERMORDET IN AUSCHWITZ


Faulenstraße 98/100
Bremen-Mitte

Verlegedatum: 03.03.2014


Faulenstraße 98/100 - Weitere Stolpersteine:


Kurt Ahron


Familienbiografie
Ernst Feldheim
Kurt Ahron

Der familiäre Zusammenhang beider Männer ergibt sich über Bertha Altgenug. Sie war die Mutter von Kurt Ahron aus ihrer ersten Ehe und war in zweiter Ehe mit Ernst Feld­heim verheiratet.

Kurt Ahron wurde am 27.1.1914 in Gladbeck geboren. Sein Vater war der Dekorateur Max Ahron (1882-1917). Er fiel im Ersten Weltkrieg und wurde auf dem Soldatenfriedhof Montaigu (Département Aisne) bestattet. Er war mit Bertha Altgenug (geb. 22.8.1889 in Hamburg) verheiratet. Das Ehe­paar hatte drei Kinder: Paula (geb. 1913 in Gladbeck), Josef (geb. 1917 in Norden) und Kurt. Er war Schlachter von Be­ruf. Er war bis 1929 in Bremen gemeldet und kam im Juni 1933 aus Mesum/Ems wieder nach Bremen zurück; seine zwischenzeitlichen Aufenthalte sind nicht bekannt. Er war dann mit kurzen Unterbrechungen bis Juni 1939 bei seiner Mutter in der Faulenstraße 98/100 gemeldet.

Sein Leidensweg unter der NS-Terrorherrschaft begann ziemlich früh. Vermutlich war er bereits 1936 in die Nie­derlande emigriert, dort wieder ausgewiesen und beim Grenzübergang von der Gestapo verhaftet worden. Am 6.7.1936 kam er daraufhin als „Schulungshäftling“ in das KZ Esterwegen. Durch die „Schulungshaft“ sollten rückkehren­de Emigranten wieder in den „Volkskörper eingereiht“ wer­den. Wegen angeblich schlechter Führung wurde die Haft immer wieder verlängert: bis zum 12.2.1937 im KZ Sachsen­hausen, vom 13.2.1937-22.9.1938 im KZ Dachau und vom 22.9.1938-27.4.1939 im KZ Buchenwald. Dort wurde er schließlich „zwecks Ausreise“ nach Bremen entlassen.

Am 5.4.1939 hatte seine Mutter ihren Untermieter Ernst Feldheim geheiratet. In Anbe­tracht der bevorstehenden Emigration wollte sie in einem fremden Land nicht allein sein und einen Ernährer haben. Ernst Feldheim, geb. 27.1.1887 in Lünen, war der Sohn von Uri Philipp Feldheim (geb. 1856) und Minna Levi (geb. 1860). Er heiratete 1911 in Derne Selma Rosenbaum (geb. 1883 in Lünen). Das Ehepaar hatte zwei Kinder: Walter (geb. 1912 in Dortmund) und Marianne (geb. 1913 in Lüdinghausen). Selma Feldheim erlitt 1937 einen Schlaganfall und wurde in die Bremer Nervenklinik eingeliefert. Am 21.9.1940 wurde sie mit vier weiteren jüdischen Patientinnen in die als Sammelanstalt fungierende Heil- und Pflegeanstalt Wunstorf „verlegt“; am 27.9.1940 wurden sie in die Tötungsanstalt Brandenburg/Havel transportiert, wo sie wahrscheinlich noch am sel­ben Tag durch Gas ermordet wurden.

Ernst Feldheim war Rossschlachter, Fleischwaren- und Viehhändler. Er hatte am Ersten Weltkrieg teilgenommen und das Frontkämpferkreuz erhalten. 1928 zog er von Gel­senkirchen nach Verden, um in der Ritterstraße 12 die Rossschlachterei Anton Walter zu übernehmen. Im September 1932 verließ er Verden und zog mit der Familie nach Bremen. Ihr Aufenthalt in Bremen war mit zahlreichen Wohnungswechseln verbunden; möglicherweise aufgrund seiner prekären Verhältnisse. Die Familie blieb oft nur wenige Wochen oder Monate an einem Ort. In Bremen war er zeitweise ohne Arbeit und lebte von der Fürsorge. Sein Wandergewerbeschein war ihm 1931 entzogen worden. 1933 war er vom Amtsgericht Bremen zu drei Wochen Gefängnishaft verurteilt worden. Drei weitere Verfahren wegen Betruges wurden eingestellt. Es gab weitere Verfahren, in de­nen Feldheim u. a. vorgeworfen wurde, Genehmigungs- und Handelsbestimmungen nicht beachtet zu haben. Da er selbst keine Gewerbeerlaubnis mehr hatte, arbeitete er als Viehaufkäufer auf Provisionsbasis. Er vermittelte u. a. auch Fleisch- und Wurstwaren an das Kaufhaus Bamberger. 1935 wurde er erneut verhaftet, da er beim Einkauf von Schweinen einen höheren Preis als vorgeschrieben gezahlt haben soll. Das Landgericht Verden verurteilte ihn am 25.1.1936 wegen schwerer „Wirtschaftsschädigung des deut­schen Volkes“. Feldheim wurde zu fünf Monaten Gefängnishaft verurteilt; in der Revi­sionsverhandlung am 17.3.1937 wurde er freigesprochen. Trotz Freispruch blieb er in „Schutzhaft“.

Seine Vorstrafen führten dazu, dass ihn die Gestapo Bremen im Zuge der Aktion „Ar­beitsscheu Reich“ am 13.6.1938 erneut festnahm und kurz darauf in das KZ Sachsenhau­sen einwies. Am 16.1.1939 beantragte Bertha Ahron, ihn wegen ihrer beabsichtigten Heirat aus dem KZ zu beurlauben. Er wurde dann am 21.1.1939 aus dem KZ „beurlaubt zwecks Betreibung seiner Auswanderung“. Hierfür erhielt er eine Frist bis zum 1.7. des Jahres. Auf Betreiben der Beratungsstelle des Hilfsvereins der Juden war ihm ein be­reinigtes Führungszeugnis zwecks Auswanderung ausgestellt worden. Die Familie be­schloss nach Liberia oder Shanghai auszuwandern, da hierfür keine Einreisegenehmi­gungen erforderlich waren.

Am 25.6.1939 flüchteten Ernst und Bertha Feldheim, Kurt Ahron und seine Halbschwester Ingeborg (geb. 1928) nach Belgien. Sie lebten anfangs in Antwerpen, da Paula Ahron bereits im September 1938 dorthin emigriert war. Am 10.5.1940 wurde Belgien von der Wehrmacht besetzt. Zahlreiche jüdische Flüchtlinge wurden von der belgischen Polizei wegen vermeintlicher Kollaborationsgefahr festge­nommen und nach Frankreich abgeschoben. Die französischen Behörden brachten sie im Lager Saint-Cyprien in der Nähe von Perpignan unter. So auch Ernst Feldheim und Kurt Ahron. Zu einem unbekannten Zeitpunkt flüchtete Feldheim aus dem Lager und kam Anfang Januar 1942 nach Brüssel zurück, wo seine Frau inzwischen mit Tochter Ingeborg wohnte. Ab Juni 1942 musste in Belgien der Judenstern getragen werden. Im November 1942 wurde Ernst Feldheim, vermutlich im Zuge einer Razzia der Sipo-SD, erneut verhaftet und in das Sammellager Mechelen eingewiesen. Mit dem Transport Nr. 18 wurde er am 15.1.1943 nach Auschwitz deportiert und ermordet.

Kurt Ahron war in der Zeit vom 10.5.-15.5.1940 in Saint-Cyprien interniert. Als das Lager überfüllt war, wurden die Flüchtlinge nach Gurs überstellt. Vermutlich floh Ahron am 20.3.1941 aus diesem Lager. Zu einem späteren Zeitpunkt (um September 1941) wurde er vom Vichy-Regime erneut verhaftet und dem Groupement de Travailleurs Etrangers 514 in Savigny zugewiesen. Die Gefangenen lebten auch dort in einem Lager und hat­ten Zwangsarbeit (Holzfällen, Straßenbau) zu verrichten. Am 23./24.8.1942 wurden 123 jüdische Häftlinge nach Drancy (im besetzten Teil Frankreichs) an die Deutschen über­stellt, unter ihnen vermutlich auch Kurt Ahron. Aus dem Sammellager Drancy wurde er mit dem 24. Transport, der ca. 1000 Personen umfasste – unter ihnen 320 Kinder, am 26.8.1942 mit dem Ziel Auschwitz deportiert. Es war der Tag, an dem mit Hilfe des Vichy-Regimes im unbesetzten Teil Frankreichs die Verhaftung der jüdischen Emigran­ten begann. Ein Überlebender des Holocaust berichtete dem Bruder Josef später in Isra­el, dass er Kurt zuletzt im Stalag VIII B-344 in der Nähe von Lamsdorf (Schlesien) gesehen habe. Wenn die Angabe korrekt war, kann angenommen werden, dass er zu den etwa 200 Männern gehörte, die in Cosel (Landkreis Görlitz) von der Organisation Schmelt aus dem Transport aussortiert und zur Zwangsarbeit eingesetzt wurden. Ab Sommer 1943 wurden zahlreiche dieser Arbeitslager aufgelöst und zehntausende Häftlinge nach Aus­chwitz-Birkenau zur Ermordung verbracht. Die Lebensspur von Kurt Ahron verliert sich dort, sein Todesschicksal bleibt unbekannt.

Bertha Feldheim und ihre Töchter Paula und Ingeborg lebten ab 1941 in Brüssel. Als Paula 1942 die Aufforderung erhielt, sich zum „Arbeitseinsatz“ im Lager Mechelen zu melden, tauchte sie unter. 1943 wechselte sie ihr Versteck und verbarg sich auf dem Dachboden in dem Haus, in dem ihre Mutter wohnte. Offenbar durch Verrat wurden sie und ihre Mutter am 12.3.1944 verhaftet und bis zu ihrer Befreiung am 3.9.1944 im Lager Mechelen interniert.

Bertha Feldheim blieb in Belgien und starb 1963. Paula heiratete 1946 Ludwig Falkenstein und blieb gleichfalls in Brüssel wohnen. Ingeborg, in den bel­gischen Meldeunterlagen als römisch-katholisch geführt, wurde in einem Kloster vor den Zugriffen der Sicherheitspolizei geschützt. Sie wanderte nach dem Krieg nach Israel aus. Kurt Ahrons Bruder Josef konnte 1937 nach Palästina fliehen; er verstarb 1997 in Roermond/NL. Ernst Feldheims Sohn Walter floh 1939 nach Schweden, die Tochter Ma­rianne hatte einen Nichtjuden geheiratet und musste in ihrem Wohnort in der Nähe Bre­mens längere Zeit versteckt, zeitweise in einem Erdbunker, leben. Für Selma Feldheim wurde in der Bauhüttenstraße 8 ein Stolperstein verlegt.

Peter Christoffersen (2015)

Informationsquellen:
StA Bremen 4,54-E4106, 4,54-E10595, 4,54-E10593, 4,54-Rü6262, Einwohnermeldekartei
ITS Arolsen, KZ Buchenwald, Schreibstubenkarte, Teilbestand:1.1.5.4 Doc.ID: 5416741, 5416742
Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, RW 58 Nr. 53081; Dokumente Archiv Kazerne Dossin; Urteil Landgericht Verden 2 K.Ms.40/35 v. 25.1.1936
Bervoets, Marcel: La liste de Saint-Cyprien, Brüssel 2006; www.wikipedia.fr (Savigny)
www.wunstorfer-stadtanzeiger.de (6.9.2008)
Werle, Gerhard: Justiz-Strafrecht und polizeiliche Verbrechensbekämp­fung im Dritten Reich, Berlin 1989, S. 562
Czech,Danuta: Kalendarium der Ereignisse im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau 1939-1945, Reinbek b. Hamburg 1989

Weitere Informationen:
Glossarbeitrag Aktion "Arbeitsscheu Reich"
Glossarbeitrag Malines / Mechelen
Glossarbeitrag Auschwitz