Pauline Cohen, *1876
Deportiert 1941
Ermordet in Minsk
Bürgermeister-Smidt-Straße 27/29
Bremen-Mitte
ehemalige Straßenbezeichnung: General-Ludendorff-Straße 37
Verlegedatum: 30.09.2014
Bürgermeister-Smidt-Straße 27/29 - Weitere Stolpersteine:
Pauline Cohen
Familienbiografie
Pauline Cohen
Ella Meyer, geb. Cohen
Die Stolpersteine für die Geschwister Cohen befinden sich im Bürgersteig vor dem ehemaligen Gebäude ihrer letzten Unterkunft: ein „Judenhaus“, das sicherlich nicht freiwillig von ihnen bezogen wurde. Ihre jahrzehntelange Wohnung in der Ellhornstraße 45 mussten sie verlassen. Das Haus steht heute nicht mehr, es fiel dem Ausbau der Falkenstraße in der Nachkriegszeit zum Opfer. Das frühere Haus General-Ludendorff-Straße 37 gehörte Markus und Rosette Cohen, die hier eine Schuhgroßhandlung betrieben und noch 1941 nach Kuba fliehen konnten. Pauline Cohen und Ella Meyer waren Töchter von August Moritz Cohen (1845 - 1909) und seiner Ehefrau Bertha, geb. Vogelstein (1848 - 1939). Ihre Mutter war eine Tochter des liberalen Rabbiners Israel Vogelstein aus Stettin. Das Ehepaar heiratete 1872 in Bad Oeynhausen und bekam vier Töchter, die alle in Bremen geboren wurden: Meta (geb. 1873), Fanny (geb. 1875), Pauline (geb. 29.9.1876) und Ella (geb. 11.7.1878).
Ihr Großvater Nathan Cohen hatte eine Schlachterei in Osterholz-Scharmbeck, die 1864 aus wirtschaftlichen Gründen geschlossen werden musste. 1872 zog ihr Vater nach Bremen. Er hatte bei seinem Vater das Schlachterhandwerk gelernt, aber auch eine Gymnasialbildung außerhalb von Osterholz-Scharmbeck erhalten. In Bremen gründete er im Stephaniviertel eine Schlachterei. Er erwarb 1878 die bremische Staatsangehörigkeit. Von 1885 bis 1890 war August Moritz Cohen als Vertreter der IV. Klasse Mitglied der Bremischen Bürgerschaft. Zur vierten Klasse gehörten die Stadtbürger, die weder Universitätsabschluss (1. Klasse) hatten, noch Mitglieder des Kaufmanns- oder Gewerbekonvents (2. u. 3. Klasse) waren. Um 1890 gab er seine Schlachterei auf und wurde Versicherungskaufmann. In den Adressbüchern ist er als Ober-Inspector und Generalagent der Victoria-Versicherung Berlin und der Oberrheinischen Versicherungsgesellschaft Mannheim aufgeführt. Nach seinem frühen Tod am 27.3.1909 führte seine Witwe die Versicherungsagentur fort. Um 1912/1913 zog sie in die Ellhornstraße 45. Noch 1935 taucht sie als zu boykottierendes Geschäft in der NSDAP-Broschüre „auch dich geht es an“ auf, da war Bertha Cohen bereits im 87. Lebensjahr. Sie starb am 21.8.1939. Der Familiengrabstein ist auf dem jüdischen Friedhof in Bremen-Hastedt erhalten geblieben.
Pauline Cohen war unverheiratet und arbeitete seit 1920 als eine von zwei Prokuristinnen bei der Firma Jacob Meyer AG. Die Firma Jacob Meyer Lumpen-Sortieranstalt AG in Osterholz-Scharmbeck und Bremen, Industriestrasse, war einer der führenden Betriebe in der Altwarenverwertung und hatte noch 1938 über 40 Mitarbeiter. Dem Firmengründer wurde 1938 ein vermeintliches Devisenvergehen vorgeworfen, woraufhin er am 28.2. nach Holland floh; er verstarb 1940 in Amsterdam. Seine Firma wurde „arisiert“. Jacob Meyer war bis Ende der 1920er Jahre in der jüdischen Gemeindearbeit sehr engagiert. Er war u. a. Vorsitzender des Kranken-Wohltätigkeits-Vereines und gehörte mit Auguste Michel zu den Gründern des jüdischen Altersheimes in Bremen. Pauline Cohen trat 1929 der Israelitischen Gemeinde Bremen bei.
Ella Meyer war die Witwe des Schulleiters Iwan Meyer (1865 - 1938) und lebte in Hannover. Ihre Ehe schlossen sie 1915 in Bremen, beide waren jüdischen Glaubens. Nach dem Tod ihrer Mutter zog sie 1939 zu ihrer Schwester Pauline nach Bremen in die Ellhornstraße. Am 3.9.1941 mussten beide ihre Wohnung aufgeben und zwangsweise in das „Judenhaus“ General-Ludendorff-Straße 37 umziehen. Eigentümer des Hauses in der Ellhornstraße war ab 1939 Dr. E. König, Pfarrer an der St. Jacobikirche in Magdeburg, der das Haus von seiner Mutter geerbt hatte. Sie hatte dort über viele Jahre das Delikatessengeschäft Wilhelm König geführt. Es ist kaum anzunehmen, dass den Geschwistern Cohen zu diesem späten Zeitpunkt gekündigt worden ist. Vielmehr kann davon ausgegangen werden, dass sie von der Gestapo in Vorbereitung künftiger Deportationen zwangsweise in das „Judenhaus“ eingewiesen wurden. Am 18.11.1941 wurden die beiden Schwestern von Bremen aus in das Ghetto Minsk deportiert. Dort wurden sie ermordet: sofern sie nicht den unmenschlichen Lebensbedingungen im Ghetto erlagen, fielen sie einer der Massenmordaktionen zum Opfer, die einen Höhepunkt in der Vernichtung des überwiegenden Teils der Bewohner des Sonderghettos am 28./29.7.1942 fanden.
Ihre Schwester Meta heiratete in Berlin den Niederländer Jacques Abraham van Dam, der ein Antiquitätengeschäft in der Wilhelmstraße führte und sich „Hoflieferant Seiner Majestät des Kaisers und Königs“ nennen durfte. Sie flüchtete später in die Niederlande und überlebte dort die Verfolgungszeit; sie starb 1957 in Essen. Ihr Sohn Hendrik George studierte Rechtswissenschaften und ging im April 1933 in die Schweiz. Er promovierte in Basel und arbeitete ab 1934 als Korrespondent u .a. der Basler Nachrichten in Holland. 1940 flüchtete er nach England, kam als britischer Soldat nach Deutschland zurück und war nach Kriegseinde u. a. am Wiederaufbau der Gerichtsorganisation in Oldenburg beteiligt und nach der Gründung des Zentralrats der Juden in Deutschland dessen Generalsekretär. Fanny Cohen heiratete 1905 den Prokuristen Adolf Löbenberg (geb. 1877 in Fulda). Sie verstarb 1906 lt. Leichenbucheintrag „in den Wasserzügen bei der Meierei im Bürgerpark“; nach Markreich wurde sie Opfer einer plötzlichen Depression. Adolf Löbenberg wurde 1941 von Hamburg aus in das Ghetto Riga deportiert.
Peter Christoffersen (2015)
Quellen :
StA Bremen 4,54-E11445, 9,S3-Cohen, August Moritz, 4,60/3 Nr. 965/1873 u. Nr. 375/1875, 4,60/5-158 Nr. 1620, 2.P.8.A.6.a.5 Bd. 280 (7), 4,54-Ra831/1; Einwohnermeldekartei
Schwarzwälder, Herbert: Geschichte der Freien Hansestadt Bremen Bd. 2, Bremen 1995
Markreich, Max: Geschichte der Juden in Bremen und Umgegend, San Francisco 1955, Anhang, Staatsarchiv Bremen Ai-63b
Beer, Klaus: Ein Denkmal für Familie Cohen, Osterholz-Scharmbeck 2001
Sinn, Andrea: Jüdische Politik und Presse in der frühen Bundesrepublik, Göttingen 2014
Weitere Informationen:
Glossarbeitrag Minsk