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Johannes Lücke, *1888

VON SS ANGESCHOSSEN 1.3.1933,
TOT 2.3.1933


Gröpelinger Heerstraße 76
Bremen-Gröpelingen

Verlegedatum: 20.09.2018

Johannes Lücke


Johannes (auch Johann) Lücke wurde am 17.2.1888 in Rengelrode geboren. Seine Eltern waren der Maurer Heinrich Lücke und Anna Maria, geb. Möhl, beide katholisch. Johannes Lücke kam 1910 nach Bremen. Von Beruf war auch er Maurer.

1914 heiratete er in erster Ehe die Arbeiterin Johanne Martha Wiegand, geb. 1886 in Schwarzenberg/Sachsen. Das Ehepaar war in Delmenhorst gemeldet. Nach seiner Militärzeit heiratete er 1919 in zweiter Ehe Henriette Dorothee Anna Brämer, geboren 1877 in Rieckenstedt. Das Ehepaar blieb kinderlos. Sie wohnten Bremen, zunächst in der Lutherstraße 12, von 1922 bis 1927 in der Gustav-Adolf-Straße 17, schließlich bis 1933 in der Gröpelinger Heerstraße 76. In diesem Haus der Baugenossenschaft der freien Gewerkschaften lebten lt. Adressbuch von 1932 acht Arbeiterfamilien. Es handelte sich um ein gewerkschaftliches Vorzeigeprojekt.

Johannes Lücke war im Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold aktiv, einem Zusammenschluss überwiegend sozialdemokratischer Organisationen, wo sich auch ehemalige Frontsoldaten engagierten, die die Weimarer Republik kämpferisch gegen Rechts verteidigen wollten und unter anderem auch linke politische Veranstaltungen schützten.

Johannes Lücke wurde das erste Opfer des NS-Terrors in Bremen. Am 1.3.1933 hatte er an einer öffentlichen Kundgebung teilgenommen, auf der der Spitzenkandidat der SPD, Alfred Faust, für die am 5. März stattfindende Reichstagswahl sprach. Sie fand in den Centralhallen am Breitenweg statt, der damals größten Versammlungsstätte in Bremen. Bei dieser überfüllten Veranstaltung war Lücke zusammen mit 80 Männern der Reichsbanner Gruppe West als Sicherheitsdienst eingeteilt worden. Tags zuvor war die „Notverordnung zum Schutz von Volk und Staat“ (Reichstagsbrandverordnung) verkündet worden, mit der die bürgerlichen Rechte in Deutschland außer Kraft gesetzt wurden und die Verfolgung linker Parteien und Politiker eine gesetzliche Handhabe erhielt. „Alfred Faust begeisterte die Menge für den Freiheitskampf und für den sozialdemokratischen Wahlsieg“, hieß es anderntags in der Bremer Volkszeitung, der Tageszeitung der SPD. Sie berichtete aber auch detailliert über einen „mörderischen Anschlag“, der im Anschluss an die Kundgebung stattgefunden habe.

Auf dem Nachhauseweg war von SS-Leuten auf eine größere Gruppe von Teilnehmern geschossen worden, die dem Reichsbanner angehörten. Der Überfall geschah auf Höhe des Fahrradladens und der Wohnung von Otto Löblich, dem obersten Bremer SS-Führer. (Waller Heerstraße/Ecke Gerdtstraße). Dort war eine Art Dienststelle der SS. Drei Verletzte waren zu beklagen, unter ihnen Johannes Lücke, der am Abend des folgenden Tages im Diakonissen-Krankenhaus an den Folgen der Schussverletzung starb. In den Prozessakten (Nachkriegsprozess) wird der Waller Arzt Dr. Seemann zitiert, zu dem Lücke gebracht worden war: Lücke sei in den Rücken geschossen worden (Leberschuss).

Löblich und seine SS-Kameraden waren noch am selben Abend in Polizeigewahrsam genommen worden. Aber schon am nächsten Tag erfolgte ihre Entlassung. Nach der Amnestie vom 21.3.1933 stellte die Staatsanwaltschaft in Bremen das gegen Löblich und andere gerichtete Verfahren am 28.3.1933 mit der Begründung ein, dass die Straftaten im Kampf für die nationale Erhebung des deutschen Volkes begangen worden seien.

Lückes Leichnam wurde im Volkshaus aufgebahrt. Die Bremer Volkszeitung berichtete von 15.000 Menschen, die dort kondolierten. Die letzte freie Demonstration der Arbeiterparteien in Bremen am 4.3.1933, dem Samstag vor der Wahl, zu der die „Eiserne Front“ 30.000 Menschen mobilisierte, stand ganz im Zeichen des Mordes an Johannes Lücke. Der Trauerzug zur Beerdigung am 7.3.1933 wurde daraufhin verboten, dennoch nahmen 5.000 Menschen daran teil.

Ein Jahr später, am 4.3.1934, führte das bereits illegal tätige Reichsbanner Schwarz-Rot- Gold im Gedenken an die Ermordung Lückes eine Veranstaltung auf dem Waller Friedhof durch. Den ganzen Tag besuchten dort Einzelne oder Gruppen sein Grab. Bereits am nächsten Tag begann die Gestapo mit einer weiteren Verhaftungswelle und nahm innerhalb von drei Wochen ca. 40 Reichsbannermitglieder fest.

Nach Kriegsende fand ein aufwändiges juristisches Verfahren zur Aufarbeitung des Mordes an Johannes Lücke statt. Im Prozess gegen Otto Löblich sowie fünf Mitangeklagte wurden viele Zeugen gehört und der Tathergang detailliert rekonstruiert. Löblich wurde zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt, zwei andere SS-Männer zu neun Monaten Gefängnis, zwei weitere wurden freigesprochen. Die Urteilsschrift umfasst 152 Seiten. Löblich kam nach Verbüßung von Zweidritteln der Strafe 1954 frei. Bürgermeister Spitta sah sich angesichts scharfer Kritik veranlasst, darauf hinzuweisen, dass es keinerlei politische Beeinflussung gegeben habe, die vorzeitige Entlassung sei ein rein juristischer Vorgang.

Lückes Frau zog bald nach dem gewaltsamen Tod ihres Mannes um. Sie starb am 19.9.1945 in Bremen-Lesum.

Franz Dwertmann (2019)

Informationsquellen:
StA Bremen 4,89/2-452-453, Einwohnermeldekartei
Bremer Volkszeitung 1.-3., 10. März 1933
Stadtarchiv Heiligenstadt
Standesamt Delmenhorst

Weitere Informationen:
Glossarbeitrag Politisch Verfolgte