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Siegfried Renberg, *1879

Flucht 1939 nach Belgien
ermordet in Auschwitz


Admiralstr. 23
Bremen-Findorff


Admiralstr. 23 - Weitere Stolpersteine:


Siegfried Renberg


In Wildeshausen waren seit 1705 Juden ansässig, ab 1764 auch die Familie Renberg (auch Rennberg). Siegfried Renberg kam dort am 12.5.1879 als Sohn von Jonas Renberg (geb. 1831 in Wildeshausen) und seiner Ehefrau Julie, geb. Goldschmidt, als mittleres Kind in einer kinderreichen Familie zur Welt.

Er wurde Viehhändler und versuchte – wie auch seine Brüder – sich außerhalb der Heimatstadt eine berufliche Existenz aufzubauen. Nachdem ihm dies in Oldenburg nicht gelungen war, kehrte er 1911 nach Wildeshausen zurück, wo er erfolgreich einen Viehhandel betrieb.

Hier hatte er bereits 1908 die ebenfalls in Wildeshausen geborene und aufgewachsene Minna de Haas (geb. 1881) geheiratet. Das Ehepaar zog drei Kinder groß: Bertha (geb. 1906 in Wildeshausen), Elly (geb.1908 in Oldenburg) und Hermann (geb. 1909 in Oldenburg). Das 1912 geborene vierte Kind der Familie, ein Sohn, starb noch im Kindesalter.

Zu Beginn des Ersten Weltkrieges wurde Siegfried Renberg eingezogen. Daher musste er seinen Viehbestand verkaufen. Im Mai 1917 erhielt seine Frau die Nachricht, dass ihr Ehemann „seit dem 16.4. vermisst und vermutlich in Gefangenschaft geraten“ sei. Doch er kehrte zurück und baute wieder einen Viehhandel auf.

Im Jahr 1921 verließ er Wildeshausen und zog mit seiner Familie nach Bremen. Hier eröffnete er einen Pferde- und Viehhandel, zeitweise ergänzt um einen Fuhrbetrieb. 1927 baute er in der Admiralstraße 23 – in unmittelbarer Nähe des Bremer Schlachthofs – Haus und Stallungen für den Pferde- und Viehhandel. In der Lehester Marsch besaß er eine Pferdeweide. 1928 wurde er in der Jubiläumsbroschüre der Israelitischen Gemeinde Bremen als Mitglied geführt. Die Wirtschaftskrise ab 1929 und die Verfolgungen ab 1933 behinderten seine Arbeit sehr. Noch am 1.12.1934 wurde ihm als Jude „Im Namen des Führers und Reichskanzlers“ das „Ehrenkreuz für Frontkämpfer“ verliehen.

Am 18.6.1938 wurde Siegfried Renberg im Zuge der Aktion „Arbeitsscheu Reich“ (siehe Glossar) verhaftet, in das Konzentrationslager Sachsenhausen verschleppt und dort bis zum 30.8.1938 interniert. In der Reichspogromnacht 9./10.11.1938 drangen morgens um 4.30 Uhr SA-Männer in die Wohnung in der Admiralstraße ein, beschimpften ihn als „Judenlümmel“, schlugen ihn und seinen Schwiegersohn Wilhelm Meyer mit einem Gummiknüppel und drohten, ihn an Ort und Stelle mit einem Revolver zu erschießen. 17 Personen – auch die Frauen und Kinder – wurden mitgenommen. Siegfried Renberg wurde erneut ins KZ Sachsenhausen gebracht und erst am 15.12.1938 wieder entlassen. Nach mehreren vergeblichen Versuchen gelang ihm im März 1939 die Flucht nach Brüssel. Am 7.3.39 meldete er telefonisch seine glückliche Ankunft. Er lebte dort in einer winzigen Mansarde in der Rue Mérode 20. Er hoffte – so brachte er es in seinen Briefen zum Ausdruck – zu seinem Sohn Hermann und dem Schwiegersohn Erich Neublum auswandern zu können, die 1938 in Lateinamerika Exil gefunden hatten. In Brüssel fühlte er sich sicher: „Man hat es hier ja wirklich gut, essen, trinken, schlafen und spazieren gehen, das ist des Tages Arbeit und dann diese sorglosen Tage und Nächte.“ Gleichwohl war er auch bedrängt von materiellen Sorgen, wohnte ärmlich und war als illegal Eingewanderter ohne Aufenthaltserlaubnis jederzeit von Ausweisung bedroht.

Erst am 12.3.1940 gelang schließlich auch seiner Ehefrau Minna Renberg die Flucht in die belgische Hauptstadt, die sie aus gesundheitlichen Gründen hatte aufschieben müssen. Nur zwei Monate später wurde Siegfried Renberg am 14.5.1940 – wenige Tage vor der deutschen Besetzung Brüssels – von den belgischen Behörden abends auf der Straße als „verdächtiger Ausländer, der womöglich den Nazis helfen könnte“ aufgegriffen und nach Südfrankreich deportiert. Nach gut zehn Tagen kam er im Lager Saint-Cyprien an. Im Oktober wurde er nach Gurs verlegt. Von dort meldete er sich am 15.11.1940 per Brief bei seiner Familie. Aber damit war seine Lagerodyssee noch nicht beendet: Am 20.3.1942 wurde er in das Lager Rivesaltes verlegt und kam von dort am 11.8.1942 in das Durchgangslager Drancy. Am 14.8.1942 wurde er nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.

Nach der deutschen Besetzung im Mai 1940 wurde Minna Renberg von Angehörigen der belgischen Untergrundbewegung in einer ländlichen Gemeinde in der Nähe von Brüssel in einer Kartoffelgrube versteckt und versorgt. Sie überlebte die Besatzungszeit und kehrte 1945 nach Bremen zurück. Sie starb 1950 in Bremen.

Siegfried Renbergs Tochter Bertha (siehe Personenregister) wurde gemeinsam mit ihren drei jüngeren Kindern im November 1941 nach Minsk deportiert und ermordet. Berthas älterer Sohn Kurt, der mit seiner Großmutter nach Belgien geflohen war, wurde 1942 von dort nach Auschwitz deportiert und ermordet.

Siegfried Renbergs Sohn Hermann emigrierte schon in den 1930er Jahren mit seiner Familie nach Uruguay, er kehrte Ende der 1950er Jahre nach Bremen zurück. Tochter Elly (auch Elli) war in Bremen in „Mischehe“ mit Wilhelm Meyer verheiratet, der als Pferdehändler und ehemaliger Verwalter Renbergs den Pferdehandel und das Fuhrgeschäft seines Schwiegervaters fortführte. Wilhelm Meyer wurde 1944 zur Zwangsarbeit in das Lager Lenne bei Holzminden eingezogen, da er sich einer Scheidung von seiner jüdischen Ehefrau widersetzte. Anfang 1945 wurde diese – inzwischen Mutter von vier Kindern – zur Deportation in das Ghetto Theresienstadt aufgerufen. Es gelang Elly Meyer jedoch der Deportation zu entgehen, indem sie ein Attest vorlegte, das behauptete, sie sei schwanger. Besorgt um seine Familie, riskierte Wilhelm Meyer die Flucht aus dem Arbeitslager. Eine junge Kriegerwitwe in Seehausen versteckte Wilhelm und Elly Meyer und ihre beiden Töchter bis Kriegsende; die beiden Söhne waren bei Verwandten in Oldenburg untergekommen.

Peter Christoffersen /Christine Nitsche-Gleim/Peter F. Zimmermann (2019)

Informationsquellen:
StA Bremen 4,54-E520, 4,54-E10254, 4,54-4377, 4,54-Ra 552, Einwohnermeldekartei
Mündliche und schriftliche Berichte von Familienangehörigen
Kazerne Dossin Mechelen, Archiv
Meiners, Werner: Geschichte der Juden in Wildeshausen, Oldenburg 1988

Weitere Informationen:
Glossarbeitrag Aktion "Arbeitsscheu Reich"
Glossarbeitrag Novemberpogrom
Glossarbeitrag Sachsenhausen
Glossarbeitrag Gurs
Glossarbeitrag Drancy
Glossarbeitrag Auschwitz

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