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Heinz van der Walde, *1917

1941 deportiert Ghetto Minsk, Ermordet



Bremen-Mitte
ehemalige Straßenbezeichnung: Löningstraße 3

Heinz van der Walde


Familienbiografie
Abraham Kriss
Hinderine Kriss, geb. van der Walde
Heinz van der Walde

Abraham Kriss, geboren am 7.10.1888 in Stryj/Polen, war der Sohn von Nissen und Hanny Kriss, geb. Weinberg. Wann genau er Polen verließ, ist nicht bekannt. Er lebte zunächst in Esens/Ostfriesland, dann in Emden und arbeitete als Polsterer. Am 8.1.1924 heiratete er dort Hinderine Kriss, geb. van der Walde. Sie wurde am 6.4.1888 in Emden geboren und brachte ihren siebenjährigen Sohn Heinz mit in die Ehe (geb. 7.1.1917, in Emden). Der leibliche Vater von Heinz ist unbekannt. Hinderines Eltern waren Josef van der Walde (geb. 9.2.1854) und Rosette (Geburtsdatum unbekannt), geb. Sachs. Sie heirateten in Emden am 8.1.1924.

Abraham Kriss, der aufgrund seiner Geburt die polnische Staatsangehörigkeit besaß, dürfte ab dem 31. März 1938 staatenlos gewesen sein. Möglich wurde das durch ein polnisches Gesetz, mit dem Staatsangehörige ausgebürgert werden konnten, wenn sie seit mehr als fünf Jahren im Ausland lebten. Auf der Bremer Einwohnermeldekarte, erstmals ausgestellt am 28. September 1939, ist das Ehepaar Kriss als „staatenlos“ eingetragen. Seine in Deutschland geborene Frau hatte durch ihre Heirat ebenfalls ihre Staatsangehörigkeit verloren.

Am 25.11.1924 wurde ihr gemeinsamer Sohn Hermann Robert Kriss geboren. Die Familie lebte zunächst in Emden in der Oldersumer Straße 38, später dann bis zu ihrem Zwangsumzug nach Bremen im September 1939 in der Webergildestraße 41. Abraham Kriss arbeitete in Emden als selbständiger Gewerbetreibender. Er führte im Auftrag anderer Geschäftsleute, meist benachbarter Möbeltischler, und Privatkunden verschiedene Polsterarbeiten durch (Polstermöbel beziehen, Matratzen anfertigen sowie Möbel reparieren und aufarbeiten). Sein Betrieb war nicht bedeutend, Kriss arbeitete allein. Er hatte aber sein Auskommen und war in den städtischen Adressbüchern von 1927 bis 1937 als Polsterer verzeichnet.

In kleinem Umfang hat Kriss aber wohl schon mit Möbeln gehandelt. Auch soll er von der Israelitischen Gemeinde mit Reparaturen und Lieferungen für das jüdische Altersheim (Schoonhovenstraße) und das jüdische Waisenhaus (Claas-Tholen-Straße) beauftragt worden sein. Bereits 1933 wurde Kriss in der Ausübung seines Geschäfts infolge der nationalsozialistischen Boykottmaßnahmen gegen Juden beschränkt, 1935 musste er es gänzlich schließen. Danach konnte er nur noch gelegentlich als Polsterer arbeiten.

Die van der Waldes, die Familie seiner Frau, besaßen in der Oldersumer Straße (Nr. 37/38) seit 1919 zwei zusammenhängende Hausgrundstücke von insgesamt 336 Quadratmetern. Sie nahmen dafür eine Hypothek auf. Die beiden Häuser gehörten Hinderine, ihrer Mutter Rosette van der Walde, sowie ihren Geschwistern Auguste und Siegmund gemeinsam. Die van der Waldes waren seit mehr als 100 Jahren in Emden ansässig.

Hinderine Kriss, ihr Rufname war Henny, betrieb ab circa 1931 ein Fischgeschäft („Emder Fischhalle“ oder auch „Fischzentrale“ genannt) in der Oldersumer Straße 5. Die Ladenräume waren gemietet. Obwohl die Lage für das Fischgeschäft wegen fehlender Konkurrenz günstig war, blieben die Einkünfte gering. Schuld waren auch hier die bald einsetzenden nationalsozialistischen Boykottmaßnahmen gegen Juden. Sie war zudem Miteigentümerin (zusammen mit ihren Geschwistern Auguste und Siegmund van der Walde) der beiden Häuser in der Oldersumer Straße Nr. 37 und 38. Diese wurden 1938 "arisiert". Der dabei erzielte Verkaufspreis von 9000 RM lag deutlich unter dem damals geltenden Einheitswert von 13.200 RM. Schon drei Jahre später wurden die Häuser von den neuen Besitzern weiterverkauft – für 18.000 RM.

Hermann Robert Kriss wurde am 25.11.1924 in Emden geboren. Er besuchte bis etwa 1938 die Kaiser-Friedrich-Schule, wurde aber wegen seiner jüdischen Abstammung dann gezwungen, die Schule zu verlassen. Ihm gelang es, im Juli 1939 im Alter von 14 Jahren, durch Vermittlung einer jüdischen Hilfsorganisation im Rahmen der Kindertransporte nach England auszuwandern. Alles, was er dabei hatte, waren ein Handkoffer und 10 RM. Zunächst war er in einem Kinderheim in Ilkley/Yorkshire untergebracht. Nach kurzer Zeit fand er Beschäftigung als Hilfsarbeiter in einem Möbelgeschäft.
Bis 1940, so schreibt er in seinem Lebenslauf vom September 1954, hatte er durch Vermittlung der holländischen Braut seines Halbbruders Heinz noch Postverbindung mit seinen Eltern. Mit der Besetzung der Niederlande am 10.5.1940 durch die deutsche Wehrmacht brach der Kontakt ab.

Am 17.8.1944 änderte er seinen Namen in Robert Cripps; 1947 erlangte er die englische Staatsbürgerschaft. Am 31.7.1948 heiratete er. 1949 wanderten er und seine Familie nach Neuseeland aus, sie lebten zunächst in Wellington. Die wirtschaftliche Lage der Cripps war prekär, sie lebten in dürftigen Verhältnissen. Da Robert keinen Beruf erlernt hatte, musste er sich als Magazinarbeiter durchschlagen. Zu Weihnachten 1956 erwarteten sie das dritte Kind. Durch die Krankheit seiner Frau sahen sich die Cripps gezwungen, nach Australien umzuziehen.

Abraham Kriss wurde im Zuge des Novemberpogroms 1938 in Emden verhaftet. Die SA deportierte etwa 60 Männer vom Emder Bahnhof West – darunter auch Abraham Kriss – über Oldenburg in das Konzentrationslager Sachsenhausen. Sie kamen am 17.12.1938 unter der Auflage, Deutschland so schnell wie möglich zu verlassen, wieder frei. Abraham Kriss ging zurück nach Emden.

Ein Jahr später, als Folge der systematischen Vertreibung der jüdischen Bevölkerung Ostfrieslands und Oldenburgs, kamen Abraham Kriss und seine Frau Hinderine sowie sein Stiefsohn Heinz van der Walde nach Bremen. Den ersten Wohnsitz meldeten sie am 28.9.1939 in der Kohlhökerstraße 6 an. Im dort ansässigen jüdischen Gemeindehaus konnten sie aber nur wenige Tage bleiben. Schon am 5.10. meldeten sie sich unter der Adresse Bahnhofsplatz 16 an. Dort befand sich die letzte jüdisch geführte Pension, deren Betreiber die Familie Rosenbaum war. Heinz war inzwischen auch in Bremen angekommen und zog am selben Tag dort ein. Knapp zwei Jahre später, am 29.9.1941, zogen die drei erneut um, diesmal in die Löningstraße 3. Hier befand sich eines der „Judenhäuser“.

Es sollte ihre letzte Adresse in Bremen sein. Knapp drei Wochen später, am 17.11.1941, wurden Abraham Kriss, seine Frau Hinderine und Stiefsohn Heinz van der Walde von Bremen in das Ghetto Minsk deportiert.

Sofern Hinderine und Heinz im Ghetto nicht den unmenschlichen Lebensbedingungen erlagen, sind sie einer der Massenmordaktionen zum Opfer gefallen, die Ende Juli 1942 begannen. Ihr genaues Todesdatum konnte nie festgestellt werden, da die Aufzeichnungen über die Insassen des Ghettos in Minsk von der SS vernichtet wurden.

Abraham Kriss gehörte zu den wenigen Männern, die die Liquidierung des Ghettos überlebten. Diese Gruppe arbeitsfähiger Männer wurde auf verschiedene Konzentrationslager verteilt. Kriss wurde in das Konzentrationslager Natzweiler, Kommando Vaihingen gebracht (Nummer 25865). Der genaue Tag seiner Einlieferung ist nicht bekannt, auch nicht, aus welchem Lager er kam. Am 14.10.1944 wurde er dem Kommando Hessenthal überstellt, am 18.12. 1944 kam er wieder zurück zum Kommando Vaihingen. Dort ist Abraham Kriss am 7.3.1945 um 19:15 Uhr gestorben. Als Todesursache wurde „Oedem“ angegeben.

Roberts Großmutter Rosette von der Walde wurde 1941 in das Ghetto Lodz deportiert und 1942 im Vernichtungslager Chelmno ermordet. Weiter wurden zahlreiche Mitglieder der Familie van der Walde Opfer des Holocausts.

Die Verlegung eines Stolpersteines in der Löningstraße 3 ist nicht möglich, weil die frühere Bebauung und Straßenführung nicht mehr besteht.

Hans-Ulrich Brandt (2025)

Informationsquellen:
StA Bremen Akten 4,54-E11024; 4,54-E11025; Einwohnermeldekartei

Weitere Informationen:
Glossarbeitrag Minsk
Glossarbeitrag Kindertransporte