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Maximilian Abraham, *1874

deportiert 1941
ermordet in Minsk


Falkenstr. 7A
Bremen-Mitte
ehemalige Straßenbezeichnung: Bornstr. 31


Falkenstr. 7A - Weitere Stolpersteine:


Maximilian Abraham


Familienbiografie
Maximilian Abraham
Else Sophie Abraham, geb. Goldstein

Maximilian (Max) Abraham, mit jüdischem Na­men Mosche Ben Nathan, kam 1874 in Bremen als erster Sohn des Ehepaars Ida und Nathan Abraham zur Welt. Ida, eine geborene Oppen­heimer, entstammte einer Hildesheimer Familie, die vom Viehhandel lebte. Nathan kam 1861 aus Nienburg, wo sein Vater Moses Religionslehrer und Prediger, wahrscheinlich auch Schächter war. Ein Jahrzehnt lang arbeitete Nathan als Religionslehrer und Prediger der kleinen Isra­elitischen Gemeinde Bremens. Nach der Heirat wurde er Kaufmann, später ehrenamtlicher Ers­ter Vorsteher der Gemeinde und Präsident der Kaiser-Friedrich-Loge.

Max litt seit der Kindheit an Asthma. Er gehör­te zu den ersten jüdischen Schülern des Alten Gymnasiums. Sie wurden auf Antrag Moses Schragenheims am Schabbat vom Schreiben und Sport und an Festen vom Unterricht befreit. Trotz ausgezeichneter Leistungen musste Max die Schule nach der mittleren Reife verlas­sen. Nach einer Ausbildung zum Textilkaufmann übernahm er als Erstgeborener gemäß patriarchalem Brauch die väterliche Firma: „Nathan Abraham, Kurzwaren und Herrenar­tikel en gros“. Den Einmannbetrieb lenkte er mühsam durch die Wirtschaftskrisen der Weimarer Zeit. Sein Herz jedoch hing am Studium der Tora und am Gemeindeleben. Er engagierte sich in der Chewra Kadischa, der Moses-Schragenheim-Stiftung für Kranken­pflege und der Kaiser-Friedrich-Loge. Er bedauerte, nicht Rabbiner geworden zu sein.

Maxens jüngerer Bruder Karl (1877-1925) wollte Sprachwissenschaftler werden. Doch eine ordentliche Professur konnten damals allenfalls getaufte Juden erreichen. Schließ­lich studierte Karl Medizin, wurde ein enger Mitarbeiter Sigmund Freuds und gründete in Berlin das weltweit erste, inzwischen nach ihm benannte Psychoanalytische Institut. Im Unterschied zum Bruder wurde er „Unglaubensgenosse“.

1921 heiratete Max Abraham, inzwischen 47 Jahre alt, die viel jüngere Else Sophie Gold­stein. Else, geboren 1888, kam aus Nordhausen, wo ihre Familie eine Altwarenhandlung betrieb. Im Ersten Weltkrieg hatte sie als Rote-Kreuz-Schwester Verwundete gepflegt.

Zwei Verlobungen waren zerbrochen, die erste mit einem Christen, den die Familie nicht akzeptierte, die zweite mit einem Cousin, der sich als notorischer Spieler entpuppte. 1923 wurde dem Ehepaar eine Tochter geboren: Charlotte, mit jüdischem Namen Freudche (Freude). Gerufen wurde sie Lottie. Die Familie lebte im eigenen Haus in der Bornstrasse 31.

Max und Else verstanden sich als deutsch-jüdische Patrioten und Demokraten. Max war ein toratreuer bremischer Bildungsbürger, mit einem Faible für die Geschichte seiner Heimatstadt. Elses Bindung an Bremen und die dortige Gemeinde war lockerer; in religi­öser Hinsicht war sie liberaler als ihr Mann; koscher kochte sie ihm zuliebe; mit dem Zi­onismus, den er ablehnte, sympathisierte sie; Mischehen, die er tadelte, verteidigte sie.

Lottie wechselte nach der Grundschule auf das „Lyzeum an der Kleinen Helle“, der ersten Bremer Mädchen-Oberschule. Hier fühlte sie sich auch als Jüdin respektiert. Gleichwohl wurden sie und die anderen „nichtarischen“ Schülerinnen zur Außenseitergruppe. Bei einer Besichtigung des Rathauses z. B. mussten sie draußen warten. 1936 wurde Lottie von einer Klassenfahrt ausgeschlossen, weil die Jugendherberge keine Juden duldete. Nach diesem Schock nahmen die Eltern sie aus der Schule; kurz darauf wurden „Juden“ offiziell aus Schulen und Universitäten verbannt. Die Lehre in einer Uhrengroßhandlung musste sie abbrechen: das Geschäft wurde „arisiert“. Nach einer Blinddarmoperation des jungen Mädchens in der St. Jürgenklinik quälte die Eltern die Furcht, Lottie sei heimlich sterilisiert worden – ein begreiflicher Verdacht, denn der Reichsärzteführer propagierte 1935 Zwangssterilisierungen von „Judenmischlingen“.

Da Max Abrahams Firma stark geschrumpft war, arbeitete er seit 1935 in der Buchhal­tung der Jüdischen Winterhilfe. Dort hatten sich inzwischen rund 1/5 der bremisch jü­dischen Familien als notleidend gemeldet. Zugleich half er dem Gemeindevorsteher Max Markreich bei der Materialsammlung für die „Geschichte der Juden in Bremen und Umgegend“. Im Oktober 1938, als der Druck zur Verdrängung der Juden aus der Wirt­schaft verstärkt wurde, schloss er das Geschäft. Weit stärker traf ihn das Verbot der Kai­ser- Friedrich-Loge.

Else trug zum Familieneinkommen bei. Ende der 1920er Jahre, nach einem Un­fall Maxens und dem Tod seiner mit ihnen lebenden Mutter, eröffnete sie eine Früh­stückspension. Es gab Dauermieter; man­che Gäste zogen schnell wieder aus; un­verschämte Kunden setzte sie vor die Tür. Nach dem Novemberpogrom 1938 hängte jemand am Eingang ein Schild auf mit dem Wort „Jude“.

Der Novemberterror zerstörte die Hoffnun­gen auf ein Weiterleben in Deutschland. Nach der nächtlichen Vertreibung der Familie aus der Wohnung, hielt die treue Haus­angestellte Rebekka Stühring Nachbarn vom Plündern ab. Max wurde verhaftet und mit anderen Leidensgenossen in das KZ Sachsenhausen verschleppt. Nach etwa sechs Wochen kam er zurück, zerschlagen und abgemagert, bedeckt mit Blutergüssen und Wunden.

Nun entschieden sich die Abrahams zur Flucht in die USA. Und sie rangen sich durch, Lottie sofort in Sicherheit zu bringen und sie als „Garanty Child“ und Haushaltshilfe nach England zu schicken. Dazu hatten Verwandte gedrängt, die bereits früher dorthin emigriert waren. Während Max und Else den Kampf um die US-Visa aufnahmen und Lotties Abreise vorbereiteten, verkauften sie ihr Haus, wobei sie sich ein Wohnrecht auf zwei kleine zum Hinterhof gelegene Zimmer der zweiten Etage sicherten. Die neuen Besitzer geizten nicht mit Schikane.

Zugleich beschloss das Paar, sich vorübergehend zu trennen: Else ging, um ihre Erwerb­schancen in Amerika zu verbessern, zur Fortbildung ans Jüdische Krankenhaus nach Berlin. Zuvor begleitete sie Lottie ins Polizeihaus am Wall. Dort stellte Wilhelm Parch­mann, Leiter des „Judenreferats“ der Gestapo, dem Mädchen „Charlotte Sara Abraham“ unter vier Augen mit sadistischen Drohungen die Ausreiseerlaubnis aus. Anfang Mai 1939 fuhr die Sechzehnjährige mit etwa 50 „Transportkindern“, nur noch ein anderes aus Bremen, nach Großbritannien. Zum Abschied kam Else aus Berlin. Die drei hofften, sich in den USA wiederzusehen.

Else und Max schrieben Lottie zunächst alle zwei bis vier Tage, später oft jede Woche, meist eng beschriebene Seiten. Mehrmals trieb Max schöne Briefbögen auf mit bremischen Bildmotiven: das Rathaus, die Böttcherstraße. Nach Kriegsbeginn wurde der Kontakt seltener, bis er ganz abbrach. Die letzte längere Nachricht von Mai oder Juni 1940 war undatiert, teilweise unleserlich und verschlüsselt. Die letzte Kurzbotschaft auf einem Formular des Internationalen Roten Kreuzes schrieb Max am 24.9.1941 aus der Gene­ral-Ludendorff-Straße 27. Ein „Judenhaus“, in das sie inzwischen zwangsweise umziehen mussten. Die Briefe hatten drei große Themen: die Sehnsucht nach Lottie und liebevolle Sorge um sie; das soziale und berufliche Leben der Eltern, zentriert um das Krankenhaus in Berlin und die Gemeinde in Bremen – und nicht zuletzt den Kampf um die US-Visa.

Mitte 1939 überlebte Else nur knapp eine Operation. Geschwächt und mit Herzbe­schwerden kehrte sie nach Bremen zurück. Nun engagierte auch sie sich in der Gemein­de, „seelische Winterhilfe“ nannte sie die gegenseitige Unterstützung. Max arbeitete weiter im Gemeindebüro, hielt Kontakt zum ehemaligen Vorsitzenden Markreich, der im Dezember 1938 emigriert war. Nach der Flucht des Rabbiners Felix Aber im März 1939 wurde Max Abraham ehrenamtlicher Prediger. Für kurze Zeit bewegte er sich in der Tradition seines Vaters und Großvaters.

Im Bemühen um ein US-Visum wurden Else und Max von Otto Abraham unterstützt, einem (nicht mit Max verwandten) in Bremen geborenen, amerikanischen Bankier und Philanthropen, der sie und andere Bremer mit Affidavits versorgte. Auch Markreich wurde für sie in Kuba aktiv und Lottie versuchte, britische Arbeitsvisa für die verzweifelten Eltern zu organisieren. Nach Kriegsende berichtete Mar­kreich, das Ehepaar hätte schließlich ein kuba­nisches Visum erhalten, es habe sie jedoch nicht mehr retten können.

Am 23.10.1941 wurde den Juden die Emigra­tion aus dem Deutschen Reich verboten. Am 18.11.1941 wurden Else und Max Abraham in das Ghetto Minsk deportiert. Sofern sie dort nicht den unmenschlichen Lebensbedingungen erlagen, fielen sie einer der Massenmordaktionen zum Op­fer, die einen Höhepunkt in der Vernichtung des überwiegenden Teils der Bewohner des Sonder­ghettos am 28./29.7.1942 fanden.

Nach Kriegsende erfuhr Lotties Ehemann Hans Levy, als Soldat der britischen Streitkräfte in Lü­beck stationiert, dass ihre Eltern nach Minsk depor­tiert wurden. Lottie, inzwischen Krankenschwes­ter in London, ging regelmäßig zum Bloomsbury House, dem Sitz der britischer Hilfskomitees für Migranten, um nach ihren Eltern zu forschen. Erst 1948 erfuhr sie, dass Else und Max tot waren. „Nun wußte ich, daß ich sie nie wiedersehe - und mußte mich damit abfinden.“ Später wurde der Britin Lottie Levy erst richtig klar, wie humorvoll der Vater, wie warmherzig, lebendig und tüchtig die Mutter und „wie deutsch“ die Eltern gewesen waren.

Bettina Decke (2015)

Informationsquellen:
Decke, Bettina: „Du mußt raus hier!“ Lottie Abraham-Levy. Eine Jugend in Bremen, Bremen 1998
Markreich: Geschichte der Juden in Bremen und Umgegend, 2. Aufl., Bremen 2009
Rübsam, Rolf: „Wir gönnen Dir so recht von Herzen ein fröhliches von Sorge unbeschwertes Leben“. Lottie Abraham Levy: Emigration und Wiederannäherung. Zeitschrift für Museum und Bildung, Nr. 65, Berlin 2006

Weitere Informationen:
Glossarbeitrag Minsk
Glossarbeitrag "Arisierung"
Glossarbeitrag Kindertransporte
Glossarbeitrag Israelitische Gemeinde Bremen