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Ferdinand Isselbächer, *1877

1938 zur Geschäftsaufgabe gezwungen ; 1939 Flucht nach England
überlebt


Kapitän-Dallmann-Str. 17
Bremen-Blumenthal

Ferdinand Isselbächer


Ferdinand Isselbächer wurde am 8.7.1877 in Isselbach (heute Rhein-Lahn-Kreis) geboren. Mit seinem Bruder Leopold gründete er um 1900 die Firma „Gebrüder Isselbächer“, ein Herrenausstattungs- und Schuhgeschäft, das sich in der Langestraße 85 (später Kapitän- Dallmann-Straße 17) in Blumenthal befand und sehr erfolgreich war.

1908 heiratete Ferdinand die 1884 in Wehrheim (Kreis Usingen) geborene Cornelie Hirsch. Der Sohn Erich wurde 1911 in Blumenthal geboren und ging dort auch zur Schule. Beide Brüder nahmen am Ersten Weltkrieg teil und wurden ausgezeichnet. Leopold Isselbächer fiel 1917. Seine Witwe entnahm nach dem Tod ihres Mannes ihren Anteil aus der Firma und machte sich mit einem Trikotagengeschäft selbständig; Ferdinand Isselbächer führte die Firma allein weiter. Er wurde als „beliebt, ehrenhaft, reell und ehrlich“ beschrieben. Seine Frau unterstützte ihn im Geschäft, sie hatten aber auch Angestellte und Lehrlinge. Der Kontakt zu den Nachbarn war gut. Man grüßte sich freundlich, unterstützte sich bei Bedarf und hielt auf der Straße einen Klönschnack, gegenseitige Besuche fanden allerdings nicht statt. Zwar lud Frau Isselbächer gelegentlich zum Kaffee ein, was aber „dankend“ abgelehnt wurde.

Die finanzielle Lage der Familie war so gut, dass sie sich eine eigene Kutsche leisten konnte. In Blumenthal war das eine große Attraktion. Frau Isselbächer, immer ganz Dame und elegant gekleidet, fuhr damit u. a. zum Bahnhof nach Vegesack, um Ware abzuholen. Auf Wunsch brachte sie dann gegen Bezahlung auch für andere Geschäftsleute aus Blumenthal deren Ware mit, was nicht immer auf Verständnis stieß, manchmal sogar als „geldgierig“ und „typisch jüdisch“ bezeichnet wurde. Offenbar als geradezu unverschämt wurde empfunden, dass der jüdische Lehrherr Ferdinand Isselbächer es wagte, den nichtjüdischen Lehrling aufzufordern, Ware aus den oberen Regalen zu holen. „Diese Arbeit hätte der faule Jude doch selber machen können“, sollen sich ehemalige Nachbarn später geäußert haben.

Da der Sohn Erich das Geschäft des Vaters übernehmen sollte, wünschte der Vater, dass er umfassend ausgebildet wurde. Er wurde 1927 Lehrling bei der Rudolf Karstadt AG. Erich erwies sich als aufgeweckt, wissbegierig und freundlich. Zuletzt arbeitete er in der Herrenkonfektionsabteilung. Sein Ziel war es, Zentraleinkäufer zu werden; der Geschäftsführer von Karstadt Bremen hatte ihm eine Lebensstellung versprochen. Wegen seiner jüdischen Abstammung wurde Erich jedoch am 1.3.1933 entlassen und blieb bis zu seiner Emigration bei den Eltern in Blumenthal.

Der Boykott jüdischer Geschäfte ab April 1933 traf das Geschäft von Ferdinand Isselbächer hart. Zudem gab es nach Aussage von Cornelie Isselbächer von Zeit zu Zeit Scheinverhöre durch die Gestapo mit gelegentlichen Tritten und Stößen. Bei Boykottmaßnahmen wurden Fenster, Wände und der Fußweg vor dem Geschäft mit grellen Farben beschmiert. Cornelie wurde durch die erlittenen Schikanen krank.

Ferdinand Isselbächer plante schon bald die Aufgabe seines Geschäfts, nachdem sein Sohn Erich, der das Geschäft einmal übernehmen sollte, Deutschland bereits 1936 verlassen hatte. Am 24.10.1938 wurde ein Kaufvertrag mit Martin Bargmann abgeschlossen. Das Geschäft sollte am 1.1.1939 übergeben werden. Der Käufer drückte den Kaufpreis bei den Verhandlungen. An dem vorhandenen Warenbestand war er nicht interessiert, den sollte Ferdinand Isselbächer bis Ende 1938 verkaufen.

In der Reichspogromnacht 1938 wurde das Geschäft zerstört, die Schaufenster wurden eingeschlagen und die Lagerbestände teils geraubt, teils beschlagnahmt. Die SA zwang Cornelie Isselbächer, den Safe zu öffnen, und entwendete den Inhalt. Das Ehepaar wurde in „Schutzhaft“ genommen und zunächst in das Blumenthaler Gefängnis gebracht. Cornelie Isselbächer wurde am nächsten Tag wieder entlassen, Ferdinand blieb bis zum 26.11.1938 im Lesumer Gefängnis. Er kehrte angeschlagen und krank zurück.

Die in der Pogromnacht an seinem Haus entstandenen Schäden musste Ferdinand Isselbächer auf eigene Kosten beseitigen lassen, bevor er es dem neuen Besitzer übergab. Das Ehepaar Isselbächer war danach vom 31.12.1938 bis zum 22.4.1939 in der Gerhardstraße 9 in Bremen gemeldet.

Dann gelang ihnen die Emigration zum Sohn Erich nach England. Ferdinand Isselbächer starb am 5.10.1947 in Liverpool. Cornelie Isselbächer wanderte später mit ihrem Sohn Erich und seiner Frau zunächst nach Kanada und später in die USA aus.

Erich Isselbächer war im Oktober 1935 nach England gereist, um dort die Arbeits- und Lebensbedingungen zu erkunden. Er begann eine Ausbildung zum Fußpfleger. 1936 ging er nach Spanien und nahm dort eine Stelle bei der Fa. Dr. Scholl in Madrid an. Als der Spanische Bürgerkrieg ausbrach, mussten alle Deutschen das Land verlassen. Bei der Einreise nach Deutschland wurden die jüdischen Reisenden ausgesondert und nach München geschickt. Dort wurde er zwei Tage lang festgehalten, bevor er die Heimreise antreten konnte. Eine Woche lang stand er in Blumenthal unter Polizeiaufsicht und wurde für den Fall, dass er Deutschland nicht umgehend verlassen würde, mit der Einlieferung in ein Konzentrationslager bedroht. Die Polizei „begleitete“ ihn bis auf das Schiff nach England.

In England arbeitete er ab 1936 in einer Fußpflegepraxis in Liverpool. Von Juli 1940 bis Ende 1941 wurde er als Deutscher von den Engländern in Kanada interniert. Nach seiner Rückkehr nach England arbeitete er bis 1945 in Blackburn. 1944 heiratete Erich Isselbächer; die Ehe blieb kinderlos. Anfang 1946 machte er sich mit einer eigenen Fußpflegepraxis selbständig. Nachdem sein Vater Ferdinand Isselbächer am 5.10.1947 in Liverpool gestorben war, zog er mit seiner Frau und seiner Mutter nach Kanada. 1948 eröffnete er dort wieder eine Fußpflegepraxis. 1955 zogen sie in die USA nach Florida. Erich wurde dort schon bald aufgrund einer Erkrankung arbeitsunfähig.

Ehemalige Nachbarn aus Blumenthal kommentierten sein Schicksal so: „Wir wären in den schweren Zeiten auch gerne einmal nach Kanada gereist.“

Wiltrud Ahlers (2013)

Informationsquellen:
StA Bremen 4,54-E3009 und 4,54-E3010, Einwohnermeldekartei
Brief von Erich Isselbächer 1946 aus England an Bernhard Nordenholz in Blumenthal

Weitere Informationen:
Glossarbeitrag Novemberpogrom
Glossarbeitrag Auswanderung