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Salomon Kelman, *1882

Ausgewiesen 1938 Polen, 1939 zurückgekehrt, Verhaftet 1939
Buchenwald, tot 19.6.1940


Schüsselkorb 17/18
Bremen-Mitte

Verlegedatum: 07.06.2012

Salomon Kelman

Salomon Kelman

Im Bremen der Vorkriegszeit gab es eine Schneiderin und zwei Schneider, die wegen ihres Könnens bevorzugt vom wohlsituierten Bürgertum in Anspruch genommen wur­den: Flora Katzenstein, Salomon Kelman und Walter Steinberg.

Salomon Hersch Kelman war am 2.5.1882 in Tarnobrzeg geboren worden. Seine Ge­burtsstadt liegt im Südosten Polens am rechten Weichselufer. Zum Zeitpunkt seiner Ge­burt waren etwa 80 % der Einwohner Juden. Seine Eltern waren Majer Kelman und Pe­sel, geb. Knochenbaum. Er besaß die polnische Staatsangehörigkeit und lebte seit 1914 in Deutschland. 1925 heiratete er Johanne (genannt Hanni) Heidmann (geb. 18.6.1896 in Blumenthal). Sie war die Tochter von Heinrich Heidmann und seiner Ehefrau Bertha, geb. Weinert. Sie war evangelischen Glaubens. Das Ehepaar Kelman hatte einen Sohn: Manfred (geb. 20.10.1928 in Bremen).

Salomon Kelman hatte seit 1919 eine Damen- u. Herren-Maßschneiderei mit Geschäft und Wohnung im Schüssel­korb, zuerst in Nr. 20/21 und ab 1932 in Nr. 17/18. Er beschäftigte zeitweise bis zu zehn Schneider, Angestellte sowie Heim­arbeiter. Nach Aussage seines Schwagers gehörte Salomon Kelman zu den bestverdie­nenden Herrenschneidern Bremens und genoss einen außerordentlich guten Ruf wegen seiner Qualitätsarbeit. Ein langjähriger Meister bestätigte dies, neben der Schneiderei von Walter Steinberg sei die Schneiderei Kelman das „größte Spezialgeschäft am Platze“ gewesen. Zu seinem Kundenkreis zählten die Spitzenbeamten der Behörden, Anwälte, Ärzte, vermögende Kaufleute und deren Ehefrauen sowie der Großherzog von Olden­burg und seine Tochter. In seinem Verkaufsraum standen lederne Clubsessel und ein großer Marmortisch. Sein ehemaliger Meister berichtete weiter: „Er unterhielt auch ein wertvolles Lager an ausländischen, insbesondere englischen Stoffen und nahm damals, gemessen am Durchschnitt, sehr hohe Preise für seine Arbeiten, eben die Preise einer erstklassigen Maßschneiderei. Er war infolge seines guten Geschäftsganges in der Lage, seine Angestellten übertariflich zu bezahlen.“ In den Bremer Adressbüchern von 1929 und 1930 hatte er eine Anzeige mit der Überschrift „Wiener-Herrenmode“ geschaltet, bei Verwendung seines eingedeutschten Nachnamens Kellmann.

Die Familie unternahm regelmäßig Urlaubsreisen und kurte in Bädern. Sehr häufig be­suchten sie das „Astoria“, das in jener Zeit zu den Spitzenvarietés im Reich zählte, wo auch viele seiner Kunden häufig anzutreffen waren. Sie verkehrten auch im „Excelsior“, einem Varieté, das von seinem Schwager Albert Egberts geführt wurde. Mit Begeiste­rung sah sich Salomon Kelman Boxkämpfe an.

Trotz seines Renommees hatte aber auch sein Geschäft unter den Boykottaufrufen der Nationalsozialisten zu leiden, sein Verdienst ging ab 1933 um etwa zwei Drittel zurück, am 3.11.1938 wurde es abgemeldet. Am 28.10.1938 wurde Salomon Kelman als polni­scher Staatsangehöriger im Rahmen der „Polenaktion“ aus Deutschland ausgewiesen. Seine Ehefrau, die durch die Heirat ebenfalls die polnische Staatsangehörigkeit erhalten hatte, blieb von der Ausweisung verschont, da sie erkrankt war. Anfang Dezember 1938 musste die Wohnung im Schüsselkorb aufgegeben werden, und Johanne Kelman zog mit ihrem Sohn zu ihren Eltern.

Im Juli 1939 erhielt Salomon Kelman die Erlaubnis wieder einzureisen, um die Abwick­lung seines Geschäftes vornehmen zu können. Während dieses Aufenthalts in Bremen verkaufte er sein Geschäftsinventar an einen Gesellen für 300 RM. Der Vermieter des Hauses und Inhaber einer Bäckerei im Schüsselkorb 17/18, Adolph Vehlber, gab 1951 einen Bericht über die dramatischen Ereignisse Anfang September 1939 zu Protokoll. Kelman benötigte Bescheinigungen, dass er keine Mietschulden etc. bei ihm habe. An­schließend hätten die Männer noch einige Biere und Schnäpse zusammen getrunken. Kelman wurde zu diesem Zeitpunkt bereits von der Gestapo gesucht, da kurz nach der Verabschiedung Beamte erschienen und nach ihm fragten. Später erfuhr er von Frau Kelman, dass ihr Mann abends auf der Obernstraße verhaftet worden sei. Dies war ver­mutlich am 13.9.1939, da er mit diesem Datum als in „Schutzhaft“ in den Lagerunterla­gen in Buchenwald geführt wurde. In der Familie besteht die Überlieferung, dass die Verhaftung aufgrund einer Denunziation eines Bekannten ausgelöst worden sei.

Am 20.10.1939 wurde er in das KZ Buchenwald überführt. Seine Ehefrau konnte ihn zum Bahnhof begleiten. Vor der Abfahrt nach Buchenwald steckte sie ihm ihren Ehering, der mit einem Diamanten versehen war, zu, den er in seinen Gamaschen versteckte. In Bu­chenwald erhielt er die Häftlingsnummer 3319. Er verstarb dort am 19.6.1940.

Am nächsten Tag erhielt seine Ehefrau die Nachricht, dass sein Leichnam am 21.6. im Kre­matorium eingeäschert werde. Auf Antrag könne sie auf ihre Kosten (20 RM) die Asche überführen lassen. Frau Kelman veranlasste dies und ließ die Urne auf dem jüdischen Friedhof in Bremen-Hastedt beisetzen, wo noch heute eine Grabplatte vorhanden ist. In dem Paket mit der Asche befand sich auch eine kleine Blechdose, die den Ehering enthielt − er wird heute von der Enkelin Salomon Kelmans getragen.

Die Einwohnermeldekartei zeugt auf eindringliche Weise davon, wie Johanne Kelman nach der Deportation ihres Mannes versucht hat, sich und ihren Sohn vor einem ähnli­chen Schicksal zu bewahren. Viermal wurde ihre Religionszugehörigkeit geändert, die 1938 von evangelisch auf mosaisch korrigiert war, bis schließlich 1942 wieder „ev“ ein­getragen war. Es gelang ihr weiter, 1939 kurzzeitig den staatsbürgerschaftlichen Eintrag „D.R.“ (Deutsches Reich) zu erreichen. Aber anscheinend gab es vermutlich mit der Re­gistrierung des Todes ihres Ehemannes 1940 eine Überprüfung, die dazu führte, dass sie die Eintragung in die „Deutsche Volksliste“ für Polen zu beantragen hatte. Dieser Antrag wurde abgelehnt und der alte Zustand (Polin) wieder hergestellt.

Ihr Sohn Manfred, der auch den „Judenstern“ tragen musste, wurde als „Mischling I.Gra­des und Geltungsjude“ noch am 13.2.1945 nach Theresienstadt deportiert. Er wurde befreit und kam mit dem ersten Rückführungstransport am 26.6.1945 nach Bremen zurück. Manfred Kelman wanderte mit seiner Mutter im August 1946 in die USA aus. 1947 trat er der US-Army bei. Er nahm am Krieg in Korea und Vietnam teil, war als Mili­tärattaché in der Schweiz und hielt später Vorträge in Schulen für das Holocaust Human Rights Center of Maine. Er hatte den Rang eines Colonels und starb 2004. Johanne Kel­man verstarb 1983 in Los Angeles.

Peter Christoffersen (2015)

Informationsquellen:
StA Bremen 4,54-E3580, Einwohnermeldekartei
Bangor Daily News vom 25.9.2008 (www.bangordailynews.com)
Gespräche mit Familienangehörigen
Archiv Gedenkstätte KZ Buchenwald

Abbildungsnachweis: Privatbesitz

Weitere Informationen:
Glossarbeitrag Polenaktion
Glossarbeitrag Rassengesetzgebung