Marie Lesser, geb. Kohler, *1902
FLUCHT 1938, KOLUMBIEN
Vor dem Steintor 45
Bremen-Östliche Vorstadt
Verlegedatum: 22.10.2024
Vor dem Steintor 45 - Weitere Stolpersteine:
Marie Lesser
Familienbiografie
Kurt Lesser
Marie Lesser, geb. Kohler
Kurt Lesser wurde 1891 in Naugard/Pommern geboren, als sechstes Kind von Moritz Lesser und Rosalie, geb. Meyer. Seine Geschwister waren Arthur (1880), Selma (1882), Hugo (1884), Gertrud (1887), Erna (1889) und Hilda (1895). Die ältesten Geschwister Arthur und Selma verstarben 1894 im Kleinkindalter an Diphterie. Die Eltern waren jüdischen Glaubens. Moritz Lesser war zunächst Gastwirt in Düsterbeck/Naugard, 1919 wird er als Händler geführt.
Marie Lesser wurde 1902 als Tochter von Peter Kohler und Magdalena, geb. Gerhartz in Verden/Aller geboren. Ihre Eltern waren römisch-katholisch.
Kurt Lesser absolvierte in Berlin eine Lehre als Kaufmann in der Textilbranche. Er war Kriegsteilnehmer im Ersten Weltkrieg. Nach dem Krieg zog er nach Bremen. Hier lebten ebenfalls seine Eltern und die Schwestern Gertrud, verheiratete Hackenbroich und Hilda, verheiratete Löwenthal mit ihren Familien.
Kurt Lesser und Marie Kohler, die von Beruf Kontoristin war, lernten sich 1921 kennen. Zu dieser Zeit versuchte er sich, gemeinsam mit seinem Schwager Ludwig Löwenthal, selbständig zu machen. Sie waren Teilhaber an verschiedenen Geschäften für Herrenbekleidung, 1926 betrieben sie eine „Mechanische Kleiderfabrik.“ Nachdem diese Betriebe aufgegeben werden mussten, arbeitete Kurt Lesser zunächst als Einkäufer im Kaufhaus Julius Bamberger. Er stieg auf zum Leiter der Abteilung für Herrenkonfektion, war am Umsatz beteiligt, der sich erhöhte, als er in den 30er Jahren Prokura bekam.
1931 heirateten Kurt Lesser und Marie Kohler. Das kinderlose Ehepaar lebte in gutsituierten Verhältnissen, in einer großzügigen Wohnung mit Wohn-, Herren-, Schlafzimmer und Küche in der Nordstraße 54. 1926 verstarb zunächst die Mutter, 1927 der Vater von Kurt Lesser. Beide wurden nach Naugard in Pommern überführt.
Ab 1934 kam es nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten zu Boykotten jüdischer Geschäfte und Einrichtungen. Der darauffolgende Umsatzrückgang des Kaufhauses Bamberger, bis zu dessen zwangsweiser Schließung 1936, brachte auch das Ehepaar Lesser in Bedrängnis und Arbeitslosigkeit. Sie mussten 1937 ihre Wohnung aufgeben und lebten in einem möblierten Zimmer in Bad Oeynhausen, wo Kurt Lesser im einstmals angesehenen jüdischen Textilhaus Rüdenberg arbeitete. Ende 1937 wurde auch dieser Betrieb „arisiert“ und das Ehepaar musste sich räumlich trennen.
Kurt Lesser zog nach Berlin, vermutlich zu seiner Schwester Erna, verheiratete Bamberger. Hier eignete er sich Kenntnisse im Pharmaziegewerbe an, um sich bei der geplanten Ausreise eine Existenzgrundlage schaffen zu können. Marie Lesser lebte in dieser Zeit bei Verwandten in Bremen. Sie war zunehmendem Druck der Gestapo ausgesetzt, sich scheiden zu lassen.
Am 1.4. 1938 lebten beide wieder in Bremen, Vor dem Steintor 45. Am 5.5.1938 konnten sie mit einem Schiff nach Kolumbien fliehen. Kurt Lesser hatte vom Ehemann seiner Schwester Erna, Willy Bamberger, eine größere Summe Geld bekommen, zur Gründung eines Geschäfts und um deren Ausreise zu ermöglichen.
Er war in Bogota mit einem Textilgeschäft nicht erfolgreich, sondern verschuldete sich. Zugleich wuchs der Druck, seine zurückgelassenen Geschwister und deren Familien retten zu können. Am 7.5.1940, einen Tag bevor ein Wechsel fällig wurde, setzte er mit Veronal seinem Leben ein Ende.
1941 versuchte seine Witwe Marie Lesser über Japan nach Deutschland zurück zu kehren. Sie wurde vom Kriegsausbruch mit der Sowjetunion überrascht und konnte erst 1947 nach Deutschland zurückkommen. 1986 verstarb sie in Bremen.
Kurt Lessers Bruder Hugo wurde am 18.11.1941, wie 443 jüdische Einwohner Bremens, in das Ghetto Minsk deportiert. Dort wurde er ermordet: Sofern er nicht den unmenschlichen Lebensbedingungen im Ghetto erlag, fiel er einer der Massenmordaktionen, die Ende Juli 1942 begannen, zum Opfer. (Stolperstein Große Johannisstr. 85).
Auch seine Schwester Hilda, deren Tochter Ruth und ihr zweijähriger Sohn Joel wurden deportiert und in Minsk ermordet.(Stolpersteine Franz-Liszt-Str.11a).
Erna Bamberger wurde zusammen mit ihrem Mann 1943 mit dem 29. Osttransport von Berlin nach Auschwitz deportiert, wo sie ermordet wurde.
Die Schwester Gertrud wurde am 10.12.1944 aus dem Arbeitserziehungslager Drielake/Oldenburg nach Auschwitz deportiert und in Berlin ins Jüdische Krankenhaus eingeliefert. Sie hat das Verfolgungsgeschehen überlebt und ist 1978 gestorben.
Christa Rödel (2024)
Informationsquellen:
StA Bremen, 4,54-E 2350, Einwohnermeldekartei
Weitere Informationen:
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