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Biografie im Erinnerungsportal, kein Stolperstein vorhanden

Alfred Guggenheimer, *1919

1941 deportiert Ghetto Minsk, Ermordet



Bremen-Neustadt
ehemalige Straßenbezeichnung: Warnkengang 6

Alfred Guggenheimer


Familienbiografie
Alfred Guggenheimer
Ilse Guggenheimer, geb. Weiss

Alfred Guggenheimer wurde am 4.12.1919 in Frankfurt a.M. geboren. Seine Mutter war Klara Guggenheimer, die 1887 in Mainz zur Welt kam. Er kam am 30.9.1933 aus Leer nach Bremen. Zunächst wohnte er einige Jahr in Huchting, wechselte dann ab 1938 notgedrungen mehrmals die Wohnungen, in denen er jeweils nur wenige Monate bleiben konnte. Von Beruf war er Elektroschweißer. Er war jüdischen Glaubens.

Am 14.10.1939 heiratete er Irene Weiss, gesch. von Seggern. Sie kam am 19.12.1908 in Mannheim zur Welt. Ihre Mutter Anna Weiss wurde am 1887 in München geboren und zog 1923 mit ihrer Tochter aus Darmstadt nach Bremen um. Der Vater von Ilse ist unbekannt. Als ihre Berufe werden Schneiderin und Korrespondentin angegeben. Im Februar 1930 heiratete sie in Bremen Willy von Seggern, geb. 1904. Aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor: Traute, geb. 1930, und Klaus, geb. 1935.

Ilse stammte aus einem jüdischen Elternhaus, war aber anlässlich ihrer Heirat zum evangelischen Glauben konvertiert. Dass die Ehe 1939 geschieden wurde, kann mit den Repressionen der NS-Rassenpolitik zu tun haben. Das legt eine Aussage des früheren Ehemanns nach dem Krieg nahe: Damit habe man ihr die Emigration nach England ermöglichen wollen. Da aber die beiden Kinder nicht mit ausreisen durften, verzichtete Ilse Guggenheimer darauf. Die Stadtverwaltung Oldenburg stellt diese Darstellung später in Frage.

Tochter Traute, die später über viele Hänseleien und Beschimpfungen durch andere Kinder berichtete, blieb zunächst bei ihrer Mutter, zog dann aber wie ihr Bruder Klaus zu den Großeltern väterlicherseits nach Oldenburg, „um der stärker einsetzenden rassenpolitischen Verfolgung zu entgehen“. Sie berichtete von eingeworfenen Fensterscheiben und gab an, bei ihrer Mutter in einer „Judengasse“ gelebt zu haben. Damit ist vermutlich der Warnkengang gemeint, wo dass Ehepaar Guggenheimer ab Oktober 1939 wohnte. Die Tochter Traute wohnte dort aber nur zeitweise bei ihrer Mutter, der Sohn Klaus gar nicht.

Das Ehepaar Guggenheimer wohnte im Haus Warnkengang 6. Im April 1940 zog Irenes Mutter Anna Weiß, geb. 1887 in München, dort mit ein.
Der Warnkengang war eine kleine Gasse im Gänge-Viertel der vorderen Neustadt, die heute nicht mehr existiert, weil dieses städtische Areal durch einen Bombenangriff 1944 zerstört wurde. Es wurde nach dem Krieg aber auch nicht wieder aufgebaut, weil es als Elendsquartier der Stadt bekannt war. Neben der Armut der Bewohner war es gekennzeichnet durch Enge, Überbelegung des Wohnraums, fehlende sanitäre Anlagen, Baufälligkeit, häufigen Mieterwechsel.


Am 17.11.1941 wurden alle drei mit über 400 weiteren Bremer Juden in das Ghetto Minsk deportiert, wo sie den unmenschlichen Bedingungen zum Opfer fielen oder den Massenerschießungen, die 1942 dort begannen.

Guggenheimers Stieftochter Traute berichtet nach dem Krieg:

"Tagtäglich wurde ich zu jener Zeit daran erinnert, daß ich von einer jüdischen Mutter abstammte. Durch einen glücklichen Zufall war ich zum Zeitpunkt der Deportation nicht bei meiner Mutter, so daß mir das Los der Deportierung erspart blieb. Mein Bruder war schon mit dem Transport. Er konnte nur durch gute Fürsprache und Beziehungen meines arischen Großvaters väterlicherseits in letzter Minute aus dem Transport herausgeholt werden. Nur diesem Umstand ist es zu verdanken, daß er heute noch lebt."

Von ihrer Mutter erhielt die elfjährige Traute einen vom Vortag der Abreise datierten Abschiedsbrief:

"Liebe Traute!
Es ist jetzt der Tag gekommen, an dem ich mich endgültig von meinem großen Mädchen verabschiede. Wir wollen hoffen, daß es für uns irgendwo und irgendwann ein Wiedersehen oder wenigstens ein Wiederhören gibt. Aber wir wissen nichts. Wir fahren ins Ungewisse, wahrscheinlich Rußland. Ich hätte dich gern noch einmal gesehen, aber deine Großeltern ließen es ja nicht zu. Du bist schuldlos daran, mein Mädel, und ich habe dich trotzalledem lieb. [...] Mein Junge, Dein Bruder, hat ja genau wie du das Recht, glücklich zu sein. Ich hatte die Einwilligung von Papa, Klaus mitzunehmen und ich hätte es gern getan, denn ich fürchtete um die Zukunft meines Jungen, wenn ich von ihm losgerissen werde. Nun Dein Papa aber in letzter Minute sich anders besonnen und Deine neue Mutti meinen Jungen als letztes Vermächtnis an ihr Herz nimmt und mir das letzte Versprechen gab, ihn nie wieder in die Fremde zu geben, wie es leider schon so oft geschah, habe ich ihn als Mutter, weil ich sein Leben über meines stelle, hiergelassen. So, mein Mädel, jetzt verabschiede ich mich von Dir, es ist vielleicht für immer. Nimm in Gedanken noch einen Kuß. Deine Mutti."

Die Verlegung eines Stolpersteines ist nicht möglich, weil die frühere Bebauung und Straßenführung nicht mehr besteht.

Franz Dwertmann (2025)

Informationsquellen:
StA Bremen Einwohnermeldekartei, Akten 4,54-E10843, 4,54-Rü 5686
Dwertmann, Franz: Der Warnkengang in der Neustadt, in: Christoffersen, Peter/Johr, Barbara (Hrsg.): Stolpersteine in Bremen, Neustadt, Bremen 2020

Weitere Informationen:
Glossarbeitrag Minsk