Biografie im Erinnerungsportal, kein Stolperstein vorhanden
Joel Seligmann, *1941
1941 deportiert Ghetto Minsk, Ermordet
Bremen-Neustadt
ehemalige Straßenbezeichnung: Warnkengang 5
Joel Seligmann
Familienbiografie
Ernst Seligmann
Klara Seligmann, geb. de Haas
Rachel Seligmann
Joel Seligmann
Ernst Seligmann wurde am 12.3.1907 in Emden geboren. Seine Eltern waren Salomon Seligmann, ein Schlachtermeister, und Rahel, geb. Magnus. Sie hatten drei Kinder: Ernst, Werner, geb. 1909, und Rosa, geb. 1899. Die Eltern trennten sich früh (1913). Die Mutter Rahel zog nach Berlin, lebte aber auch kurzzeitig in Bremen.
Ernst Seligmann war Matrose und schon 1930 nach Bremen gekommen, wo seine Schwester Rosa schon seit 1926 wohnte. Von Bremen aus fuhr er jahrelang zur See, auf Schiffen, die „Cavalla“, „Erfurt“ oder „Drossel“ hießen. In den Monaten der Zwischenaufenthalte an Land wohnte er in vielen verschiedenen Wohnungen: Die Einwohnermeldekartei weist allein für die 1930er Jahre 14 verschiedene Adressen auf.
Am 1.9.1939, dem Tag des Beginns des Zweiten Weltkriegs, heiratete Ernst Seligmann die 17-jährige Klara de Haas, die schon zwei Jahre als Hausangestellte in jüdischen Bremer Familien gearbeitet hatte. Sie wurde am 21.3.1922 in Delmenhorst geboren, wuchs dort zunächst in der Bremer Straße 11 auf. Ihre Eltern waren Iwan de Haas und Bernhardine, geb. Heyersberg. Zwischen 1908 und 1923 bekamen sie neun Kinder. Zunächst als Produkten- und Lumpenhändler, später als Arbeiter konnte der Vater die große Familie kaum über Wasser halten. 1927/28 lebte sie in einem Eisenbahnwaggon der Harpstedter Bahn, ab 1930 in einer „Notwohnung für wirtschaftlich schlecht gestellte Familien“ – auf 35qm. Nach der Reichspogromnacht 1938 kamen der Vater und zwei Brüder ins Stadtgefängnis Delmenhorst und anschließend ins KZ Sachsenhausen. Zwei älteren Schwestern, Minna und Sophie, gelang die Emigration in die Vereinigten Staaten. Sie sagten später aus, Klara habe Sekretärin werden wollen, sei aber aufgrund der politischen Entwicklung daran gehindert worden und am 5.3.1937 als Hausangestellte zu jüdischen Familien nach Bremen gegangen, etwa 1937/38 zur Familie Grünberg in der Kohlhökerstraße 6.
Ein halbes Jahr lebte das Paar im späteren „Judenhaus“ Charlottenstraße 28 im Ostertorviertel. Dann bezogen sie Anfang 1940 das Haus Nr. 5 im Warnkengang.
Der Warnkengang war eine kleine Gasse im Gänge-Viertel der vorderen Neustadt, die heute nicht mehr existiert, weil dieses städtische Areal durch einen Bombenangriff 1944 zerstört wurde. Es wurde nach dem Krieg aber auch nicht wieder aufgebaut, weil es als Elendsquartier der Stadt bekannt war. Neben der Armut der Bewohner war es gekennzeichnet durch Enge, Überbelegung des Wohnraums, fehlende sanitäre Anlagen, Baufälligkeit, häufigen Mieterwechsel.
Im April 1940 zog gleichfalls die Familie von Ehefrau Klara (de Haas) mit ein in das kleine Haus, das nur aus 2-3 Zimmern bestand: Klaras Eltern, zwei ältere Brüder und die jüngere Schwester Jenni. Im Spätsommer 1940 kamen dann noch die Söhne von Ernsts Bruder Werner aus Emden bei ihrem Onkel im Warnkengang 5 unter.
Am 2.9.1940 wurde dazu das erste Kind von Ernst und Klara Seligmann dort geboren: Rachel. Das zweite Kind, Joel, kam gut ein Jahr später zur Welt, am 23.9.1941. Eine Woche nach dessen Geburt zog dann die gesamte Emder Familie von Bruder Werner Seligmann aus Emden zum Bruder Ernst in den Warnkengang 5. Nun wohnten 14 Personen in dem winzigen Haus (22,4 qm).
Allerdings nur wenige Wochen: Die Familie von Ernst Seligmann sowie die Familie de Haas wurden am 18.11.1941 mit über 400 weiteren Bremer Juden in das Ghetto Minsk deportiert, wo sie den unmenschlichen Bedingungen zum Opfer fielen oder den Massenerschießungen, die 1942 dort begannen.
Die Familie von Werner Seligmann konnte wg. der „privilegierten Mischehe“ mit der Ehefrau Elsa noch im Warnkengang 5 bleiben. Als Elsa am 8.9.1942 im Alter von 34 Jahren starb, war der Schutz für Werner Seligmann und die drei Kinder (8, 9 und 11 Jahre alt) dahin, sie wurden 1943 nach Theresienstadt deportiert und von dort 1944 weiter nach Auschwitz, wo sie ermordet wurden.
Von den 19 Juden im Warnkengang überlebte niemand. Joel Seligmann war mit zwei Monaten das jüngste Opfer des Transports nach Minsk. Ein letztes Lebenszeichen wird von Ernst Seligmann aus Minsk überliefert: "Ernst Seligmann wurde von Rübe (Ghettokommandant, F.D.) auf dem Weg zum Friedhof erschossen, weil er vermutlich Benzin in das Ghetto geschmuggelt hatte. Auf dem Weg dahin hatte er zweimal versucht zu entkommen."
Die Verlegung eines Stolpersteines ist nicht möglich, weil die frühere Bebauung und Straßenführung nicht mehr besteht.
Franz Dwertmann (2025)
Informationsquellen:
StA Bremen Einwohnermeldekartei
Dwertmann, Franz: Der Warnkengang in der Neustadt, in: Christoffersen, Peter/Johr, Barbara (Hrsg.): Stolpersteine in Bremen, Neustadt, Bremen 2020
Christoffersen, Peter: „Es war ein einziges Grauen“ – Die Deportation der Bremer Juden in das Ghetto Minsk und ihre Vernichtung, in: Christoffersen, Peter/Johr, Barbara, (Hrsg.): Stolpersteine in Bremen, Schwachhausen/Horn-Lehe, Bremen 2017
Weitere Informationen:
Glossarbeitrag Minsk

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