Biografie im Erinnerungsportal, kein Stolperstein vorhanden
Julius Wertheim, *1879
1941 deportiert Ghetto Minsk, Ermordet
Bremen-Mitte
ehemalige Straßenbezeichnung: Wiesenstraße 2
Julius Wertheim
Julius Wertheim wurde am 24.3.1879 in Kitzingen geboren. Er war Sohn des Produktenhändlers Rudolf Wertheim (gest. 1927) und Bertha, geb. Femberger (gest. 1924). Ab 1895 ging er in die Lehre beim Stadtmagistrat Würzburg, war dann Buchhalter in einem Bankgeschäft und arbeitete 1906/1907 bei der Dresdner Bank in Hamburg, anschließend bei der Mitteldeutschen Kreditbank.
1913 heiratete er Babette Schulle in Berlin-Wilmersdorf. Sie hatten zwei Töchter: Elfriede, geb.1907, und Edelgard, geb. 1909. Die Ehe wurde 1927 geschieden. Wertheims Frau starb 1951.
Julius Wertheim wurde vorzeitig pensioniert wegen „zerrütteter Nerven“. Ursache dafür, so schrieb die Tochter nach dem Zweiten Weltkrieg an das Bremer Landesamt für Wiedergutmachung, seien die „schweren Kämpfe“ im Krieg (1917/18) gewesen und Konflikte mit seinem Bruder, die zur Scheidung und zur „Zerstörung des Familienlebens“ geführt hätten. Nach der Scheidung sei er wieder in sein Elternhaus nach Kitzingen gezogen, habe unter schweren seelischen Belastungen gelitten; aufgrund der familiären Konflikte erfolgte die „Vertreibung aus dem Elternhaus und vorherige Inhaftierung durch die Nazis (1937/38). Er schlief seit 1938 mal hier, mal dort, hatte nirgends eine feste Bleibe… Zuzugsgenehmigungen wurden nach Würzburg, Berlin etc. verweigert!! Ebenfalls Anträge an Altenheime: abgelehnt! Er war nur auf die Gnade anderer angewiesen, wurde überall nur vorübergehend geduldet. Wir sahen ihn 1938 in Würzburg das letzte Mal und mussten uns da schon heimlich treffen, es war furchtbar. 1940 zog er nach Hagen bei Bremen“.
Wertheim verzog danach nach Bremen, damals zunächst in das Haus Bornstraße 5 und später in ein Hotel am Philosophenweg, bevor er bei Kornblum in der Wiesenstraße 2 („Judenhaus“) unterkam.
Am 18.11.1941 wird er in das Ghetto Minsk deportiert. Sofern er nicht den Strapazen dort erlegen ist, wurde er Opfer der Massenmordaktionen, die im Juli 1942 begannen.
Am 11.11.1941, kurz vor der Deportation, schrieb er einen Brief an seine Töchter:
Meine Lieben!
Bezugnehmend auf mein Schreiben vom Sonntag, habe ich heute vorm. Den Ausweisbefehl bekommen. Leute bis 80 Jahre müssen weg, die Fahrt geht jedenfalls nach Minsk. Nur Ehen, die noch bestehen, werden nicht getrennt. Am Montag vorm. Müssen wir uns in einem Schulgebäudesammeln u. dann geht es zum Güterbahnhof. Viel Herzeleid und Tränen habe ich am Sonntag im Hause der Kultusgemeinde gesehen, als wir alle gerufen waren. Bereits heute Mittag habe ich ein Gesuch bei der Gestapo abgegeben, doch sagte mir der Anmelder, dass ich keine Aussicht hätte, da die Ehe nicht mehr besteht. Ich habe auch meine Frontdienste etc. vorgelegt.- Mundvorrat für 4 Tage ist mitzunehmen. Heut nachm. ½ 5 Uhr erhielt ich l. Elfriedes Telegramm, womit mir leider nichtgedient ist. Die Kultusgemeinde hat nichts mehr zu bedeuten. Ich habe heute Mittag von einem Kollegen der hiesigen Commerzbank bei l. Elfriede anrufen lassen, u. wie mir der Mann sagte, rief liebe Elfriede: „ach Gott, ach Gott“. Ja, liebe Kinder – ich halte mich für verloren u. muss heute Abschied nehmen – jedenfalls für immer. Bitte, mir ein gutes Andenken zu bewahren. Gleichzeitig bitte ich meine Kinder um Verzeihung, falls ich ihnen etwas zu Leid getan haben sollte. – Nur der Reichsminister des Inneren in Berlin hätte etwas für mich tun können, was nur eine arische Person tun kann. Gestern sandte ich noch per Einschreibebrief Geld und heute nach Uhlandstraße 133 den grossen Koffer. Bitte den Inhalt zu prüfen und aufzubewahren, ferner zu bestätigen. Anbei den Schlüssel, den zweiten hat mein Bruder in Würzburg, den ich benachrichtigen werde."
Die Verlegung eines Stolpersteines ist nicht möglich, weil die frühere Bebauung und Straßenführung nicht mehr besteht.
Franz Dwertmann (2025)
Informationsquellen:
StA Bremen 4,45-E10542, Einwohnermeldekartei
Weitere Informationen:
Glossarbeitrag Minsk

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