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Glossar

Ostjüdische Gemeinde „Beith Hamidrasch Schomre Schabbos“

Der Begriff „Ostjuden“ ist in seiner Verwendung vielfältig und zwiespältig. Das Spektrum reicht von der Charakterisierung der Schtetl-Kultur und deren Vernichtung bis zur Diffamierung durch den nationalsozialistischen Sprachgebrauch als "rassisch minderwertig". Heute wird die Bezeichnung überwiegend mit der geografischen Herkunft der aus dem osteuropäischen Raum eingewanderten Juden verbunden.

Der Begriff taucht erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts auf und führte zur Entwicklung der Stereotypen von westeuropäischen Juden und Ostjuden. Letztere hatten aus vielerlei Gründen ihre kulturellen, sprachlichen (Jiddisch) und nationalen Besonderheiten gewahrt und sich kaum in ihren Nationalstaaten assimiliert. Dies stand nach der Auswanderungswelle ab 1880 in starkem Kontrast zur Lebensweise der Juden in Mitteleuropa: Ghettojudentum versus emanzipiertem Judentum. Insbesondere nach dem Ersten Weltkrieg entwickelte sich in Deutschland ein Wandel im jüdischen Denken. Das Ostjudentum wurde nun zunehmend als Quelle einer abhanden gekommenen, schöpferischen jüdischen Kultur begriffen.

In Bremen gab es ebenfalls nach 1900 eine verstärkte Zuwanderung aus Osteuropa. Zahlreiche Familien ließen sich in Hastedt und Sebaldsbrück nieder. Nachdem die eigene Existenz gesichert war, zogen Familienangehörige und Verwandte nach. Viele Männer handelten mit Altmaterialien für den Großhandel oder mit Säcken, Frauen oft mit Wäscheartikeln. Sie bildeten eine enge Gemeinschaft und schlossen sich nicht der Israelitischen Gemeinde Bremen an.

Vermutlich noch vor 1910 wurde eine kleine orthodox ausgerichtete Gemeinde gegründet. Sie erhielt den Namen "Beith Hamidrasch Schomre Schabbos" (Haus der Sabbath-Hüter).
Das Bethaus oder "die Schul" befand sich im Haus Sebaldsbrücker Heerstraße 55 . Es hatte zwei Beträume, für Männer und Frauen getrennt. Verbunden waren sie durch eine Zwischentür, die nur am Freudenfest „Simchat Thora“ geöffnet wurde, damit die Frauen den Männern beim Tanzen mit den Thora-Rollen zuschauen konnten. Dazu spendete man Fisch und Kuchen. Die Beziehungen der „Schomre Schabbos“-Gemeinde zur Israelitischen Gemeinde Bremen waren locker, gemeinsam wurden die Religionsschule für die Kinder, das Ritualbad, die Schechita (koscheres Schlachten) für die Haushaltungen und der Israelitische Friedhof genutzt. Da die Gemeinde sehr klein war, konnte sie keinen eigenen Rabbiner unterhalten. 1927 weihte z.B. der Rabbiner der Israelitischen Gemeinde Bremen, Dr. Felix Aber, die "Sepher Thora" ein. Als Kantor fungierte Moses Lipschütz, der 1934 verstarb.

In der Reichspogromnacht 1938 fiel auch das Bethaus dem SA-Pöbel zum Opfer. Der Hemelinger Anzeiger berichtet hierüber triumphierend in seiner Ausgabe vom 11.11.1938 "... Die dreckige Juden-Synagoge in Sebaldsbrück war sehr schnell das Zentrum der Bevölkerung. Der Stall wurde erst einmal ausgemistet und die ‚Betstühle’ auf den richtigen Platz, nämlich auf den Scheiterhaufen verwiesen."

Im Rahmen der Polenaktion waren Juden mit polnischer Staatsangehörigkeit, also ein großer Teil der Ostjuden, Opfer der ersten Deportationsaktion. In Bremen wurden die Betroffenen in der Nacht vom 27./28. Oktober 1938 verhaftet und zum Lloydbahnhof (Empfangsgebäude für den Auswandererverkehr nach Bremerhaven östlich der Bahnhofshalle) gebracht und deportiert. Die Anzahl ist ungewiss. Die offizielle Abschiebeliste weist die Namen von 80 Personen auf. Der Vorsteher der Israelitischen Gemeinde Bremen ging nach dem Kriege von etwa 200 Personen aus, da er vermutlich nichtregistrierte Familienangehörige einbezog.


Quellen / Weitere Informationen:
Haumann, Geschichte der Ostjuden, München 1998

Michael M. Meyer u.a. (Hg.), Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, Band 3: 1871-1918, München 1997

Herbert Obenaus u.a. (Hg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, Band 1, Göttingen 2005

Regina Bruss, Die Bremer Juden unter dem Nationalsozialismus, Bremen 1983

Anne E. Dünzelmann, Juden in Hastedt, Bremen 1995

Der Anzeiger für Hemelingen und die südöstlichen Vororte Hastedt, Sebaldsbrück und Osterholz, Ausgabe vom 11.11.1938

http://www.hagalil.com/galluth/aue.htm#1%29%20Einleitung (Artikel "Das Shtejtl")


Peter Christoffersen (2011)


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