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Friedrich Kennemann, *1890

KZ Neuengamme
ermordet 26.2.1945


Abfahrt Hochstraße Breitenweg/Höhe Falkenstraße 17
Bremen-Mitte
ehemalige Straßenbezeichnung: Roßstraße 20

Friedrich Kennemann

Friedrich Kennemann

Mit dem Stolperstein für Friedrich Kennemann wird eines der wenigen homosexuellen Opfern gedacht, die in Bremen aktenkundig sind. Wegen der fortdauernden Diskrimi­nierung in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik konnten sie selbst oder Angehörige keine Entschädi­gungsansprüche geltend machen. Nur selten hatten Angehörige und Freunde den Mut, in diesem gesellschaftlichen Umfeld auf das Unrecht hinzuweisen.

Friedrich Kennemann wurde am 13.6.1890 als eines von sechs Geschwistern in Erlangen geboren. Seine Eltern waren Johann G.F. Kennemann und dessen Ehefrau Magdalena, geb. Polster. Sein Vater war Bankagent, gerichtlich verpflichteter Auktionator und Taxator. Nach dem Besuch der Real- und Oberrealschule, die er mit Abschluss der Unterprimareife verließ, lernte er Kellner. Von 1911 bis 1921 war er verheiratet; die Ehe war in Nürnberg geschlossen worden; sie wurde 1921 geschieden. 1911/1912 wurde eine Tochter geboren.

Seit 1920 wohnte er in Bremen mit immer wieder kurzzeitigen Abmeldungen. Weitere Wohnorte waren Bremerhaven, Cloppenburg und Sulingen. Ab 1931 sind der Einwohnermeldekarte zahlreiche Wohnungswechsel zu entnehmen. Sein letzter Wohnsitz – ab Januar 1942 – war in der Roßstraße 20. Diese Straße verschwand nach 1945 mit der Neuplanung der Bahnhofsvorstadt.

Von 1914 bis 1922 gehörte er der Reichswehr an, zuletzt mit dem Dienstgrad Sanitätsfeldwebel. Er wurde nach eigenen Angaben mit dem EK. II ausgezeichnet. Zu einem nicht bekannten Zeitpunkt erlitt er eine Kriegsverletzung. Deswegen befand er sich 1917 zur Rehabilitation in Bad Rehburg in der Victoria-Luise-Stiftung.

Seine beruflichen Tätigkeiten lassen sich an Hand der Personaldatenaufnahmen der Kriminalpolizei nachvollziehen. Bis 1923 wird er als Schauspieler bezeichnet, 1924 als Rentner, anschließend als Kellner. 1922 eröffnete er mit Bekannten das Lokal Stuttgarter Hof, Grafenstraße/Doventor, ein Treffpunkt u.a. von Homosexuellen, in dem er "etwa zwei Jahre" mitgearbeitet habe. "Später" arbeitete er ca. vier Jahre bei Julius Dreckmeyer, Herdentorsteinweg 44, gleichfalls ein Treffpunkt für Homosexuelle. 1931 meldete er einen Handel für Galanterie- und Kurzwaren an, um als Hausierer tätig sein zu können. 1935 war er als arbeitslos registriert; 1936 hatte er wieder eine Anstellung als Kellner gefunden. 1937 war er als Bote bei einem Fischhändler beschäftigt und 1942 als Kellner im Lokal Hamburger Keller in der Bahnhofstraße.

In den 1920er Jahren, zu Zeiten der Wirtschaftskrise und Hyperinflation kam er erstmals mit der Justiz in Berührung. Er wurde mehrmals hauptsächlich wegen Hehlerei zu kurzfristigen Gefängnisstrafen verurteilt. Insgesamt war er dafür zu insgesamt 18 Monaten Gefängnis verurteilt worden.

Seine Verfolgung als Homosexueller ist in der Kripoakte erstmals 1927 dokumentiert, als er im August vor der Klappe Doventor (öffentliche Bedürfnisanstalt) von der Polizei beobachtet wurde, wie er "in den letzten Nächten mehrmals Personen in die Anstalt gefolgt" sei. Das bestritt er nicht, jedoch sei er "von Natur aus nicht homosexuell veranlagt." Er stand unter Beobachtung der Polizei wie auch eine Meldung von 1932 dokumentiert, in der über die Observierung seiner Wohnung berichtet wird. Es hätten sich sehr oft junge Männer bei ihm aufgehalten. "Unsittliche Handlungen" seien jedoch nicht beobachtet worden. Auch 1934 wurde er mehrmals an der Klappe Doventor aufgegriffen und dazu vernommen.

Im August 1936 wurde eine Anzeige wegen "Sittlichkeitsvergehens" von einem 26-jährigen Mann gegen ihn erstattet. Er sollte ihn in der Straßenbahn "unsittlich" belästigt haben, was Kennemann jedoch bestritt. Dafür wurde er am 28.1.1937 – allerdings wegen Beleidigung (§ 185 StGB) – zu sechs Wochen Gefängnis verurteilt. Dies war bereits Ausdruck der Verschärfung des § 175 StGB, die zum 1.9.1935 in Kraft getreten war, mit der die gnadenlose Verfolgung der homosexuellen Männer im NS-Staat begann.

Im April 1937 wurde Kennemann erneut verurteilt, weil er sich gegenüber einem 17-Jährigen in einer anderen Klappe "unsittlich" verhalten habe. Gegenüber der Kripo bestritt er die Tat und stellte seine homosexuelle Veranlagung erneut in Abrede. Die Justiz sah das nicht als glaubhaft an und das Amtsgericht Bremen verurteilte ihn zu sechs Monaten Gefängnis. Im Dezember 1937 wurde die Anzeige eines Polizeibeamten, er sei von K. in eindeutiger Weise angesprochen und belästigt worden, niedergeschlagen. Die Vernehmungen ergaben wohl, dass der Beamte vermutlich nicht nur "Opfer" der Begegnung war.

1938 gehörte Kennemann zu den zahlreichen Homo­sexuellen, deren Namen der Strichjunge und Erpresser Theodor Gehring aus Hamburg der Polizei preisgab. Gegen ihn wurde in Hamburg wegen einer Raubsache ermittelt. Er denunzierte dabei u.a. 16 Männer aus Bremen. Wegen einer Reihe von Vergehen wurde Gehring 1942 in Hamburg als „gefährlicher Gewohnheitsverbrecher“ zum Tode verurteilt und am 9.7.1942 hingerichtet. Kennemann wurde am 3.2.1939 wegen Vergehens nach § 175 StGB zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt.

1942 sagte in Oldenburg der 16-jährige Arbeiter August R. anlässlich einer Vernehmung wegen Diebstahls und Betrugs aus, er hätte K. im Bremer Hauptbahnhof kennengelernt und habe anschließend bei ihm übernachtet. Dabei habe dieser sich ihm in eindeutiger Weise sexuell genähert, was er jedoch zurückgewiesen habe. K. führte Erinnerungslücken infolge von Trunkenheit an. Am 21.12.1942 wurde Friedrich Kennemann daraufhin von der Jugendkammer des Landgerichts Bremen wegen „Verführung zur Unzucht“ zu einem Jahr und sechs Monaten Gefängnishaft verurteilt. Die Strafe verbüßte er vom 23.12.1942 bis zum 16.1.1944 im Strafgefängnis Hamburg-Fuhlsbüttel ab.

Sofort nach seiner Entlassung ordnete die Kripo Bremen am 21.1.1944 "polizeiliche Vorbeugungshaft" an. Friedrich Kennemann verblieb zunächst im Polizeigefängnis Bremen-Ostertorwache und wurde am 3.3.1944 in das KZ Neuengamme überstellt. Dort wurde er am 26.2.1945 ermordet. Angebliche Todesursache: Herzlähmung.

Eine ausführlichere Biografie ist auf spurensuche.de zu finden: Biografie Kennemann

Peter Christoffersen (2024)

Informationsquellen:
StA Bremen Akte 4,14/4-275, Einwohnermeldekarte
StAHH 213-11 Staatsanwaltschaft Landgericht – Strafsachen, 3834/40
StAHH 242-1 (II) Gefängnisverwaltung II, Abl. 13 jüngere Gefangenenkartei (Männer)
Lorenz, Gottfried, "… sonst gehst du verschütt, ( „Töv, ik schiet di an“), Das abenteuerliche und kurze Leben des Schiffsjungen, Strichers und Erpressers Theodor Gehring, Manuskript Hamburg 2014 (www.dr-lo.de)
ITS Arolsen, Eintrag Totenbuch Neuengamme
Hinweise von Bernhard Rosenkranz, Hamburg

Weitere Informationen:
Glossarbeitrag Homosexuelle
Glossarbeitrag Neuengamme