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Hermann Weinstein, *1888

„POLENAKTION“ 1938, FRAUSTADT/WSCHOWA, 1939 ZURÜCKGEKEHRT, VERHAFTET 1939,
BUCHENWALD, ERMORDET 8.4.1942


Rüdesheimer Straße 41
Bremen-Neustadt

Verlegedatum: 14.06.2022

Hermann Weinstein

Hermann Weinstein
Hermann Hersch Chune Weinstein wurde am 10.3.1888 in Ulanov/Nisko geboren, einem Städtchen im Karpatenvorland, das damals noch zur Habsburger Donaumonarchie gehörte und nach dem Ersten Weltkrieg polnisch wurde. Er wuchs in einer jüdischen Familie auf. Seine Eltern waren Moses Weinstein und Leila, geborene Knochenbaum. Hermann Weinstein erlernte das Schneiderhandwerk. 1913 heiratete er Anna Greismann aus dem nicht weit entfernten galizischen Raclawice. Dort wurde auch der Sohn Rudolf Rubin geboren.

Die Familie wanderte 1913 nach Deutschland aus, zog nach Rüstringen (bei Wilhelmshaven). Hermann Weinstein betrieb dort eine eigene Schneiderei, spezialisiert auf Kunden aus der Marine. 1917/18 absolvierte er den Kriegsdienst bei der österreichischen Armee. 1921 wurde Sohn Leo geboren. Als die Geschäfte nicht mehr so gut liefen, ging Weinstein 1925 nach Bremen. Dort gehörte sein Cousin Salomon Kelman (die Mütter waren Schwestern, geborene Knochenbaum) zu den bestverdienenden Herrenschneidern der Stadt. Am Schüsselkorb beschäftigte er bis zu 10 Maßschneider.

Weinstein richtete seine Schneider-Werkstatt im Haus Haferkamp 77/78 (Doventor) ein. Als die Familie 1927 folgte, bezogen sie eine Wohnung in der Neustadt, Rüdesheimer Straße 41. Weinstein hatte ein gutes Einkommen, beschäftigte zeitweise zwei Mitarbeiter. 1931 zog die Familie in die Kaiserstraße12 um (heute Bürgermeister-Smidt-Straße), 1932 für kurze Zeit in die Spielleutestraße 3, danach bis 1938 in die Brückenstraße 32.

Noch am 11.3.1933 vermerkt die Polizeidirektion Bremen, dass „über die Führung des Weinstein nicht nachteiliges bekannt geworden [sei]. Er ist selbständiger Schneidermeister und lebt von seinem Verdienst“. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten und dem Boykott jüdischer Geschäfte begann 1933 auch für die Weinsteins wirtschaftlich wie privat eine schwere Zeit. Sohn Leo musste bald den SV Werder Bremen und dann auch seine Schule (Oberrealschule am Leibnizplatz) verlassen, 1934 starb die Mutter Anna an Leukämie.

Im Zuge der „Polenaktion“ wurde Weinstein mit ca. 80 anderen Juden mit polnischer Staatsangehörigkeit im Oktober 1938 aus Bremen ausgewiesen, an die polnische Grenze transportiert und ins Nachbarland abgeschoben. Weinstein begab sich in seine Heimatstadt Ulanov, kehrte aber im Juli 1939 nach Bremen zurück, „um seine Angelegenheiten regeln zu können“ (Auflösung der Wohnung/Verkauf der Werkstatt). Er wohnte zu der Zeit im „Judenhaus“ Westerstraße 28 und befand sich bei Kriegsbeginn noch in Bremen. So geriet er als „feindlicher Ausländer“ am 9.9.1939 in „Schutzhaft“ und wurde kurze Zeit später am 20.10.1939 in das Konzentrationslager Buchenwald deportiert („zweite Polenaktion“). Seine Häftlingsnummer dort: 3386.

Der Aufenthalt ist gut dokumentiert, z.B. durch eine Überweisung der Jüdischen Kulturvereinigung Bremen für Zahnbehandlungen. Am 19.12.1939 schickte die KZ-Verwaltung Weinsteins Pass über die Gestapo Bremen an Weinsteins Cousine Hanni Kelmann (Zwischenahner Straße 8) „wg. Feststellung der Staatsangehörigkeit“. Das änderte aber nichts an seiner Situation. Am 14.3.1942 wurde Weinstein in die Tötungsanstalt Bernburg deportiert. Dort starb er am 8.4.1942, angeblich an Herzversagen, tatsächlich in einer der Gasöfen der „Landes Heil- und Pflegeanstalten“. In diesen Gasmordanstalten erfolgte die „Sonderbehandlung 14f13“, d.h. die Ermordung von Häftlingen aus den Konzentrationslagern Buchenwald, Flossenbürg, Groß-Rosen, Neuengamme, Ravensbrück und Sachsenhausen. Die Urnen, die den Angehörigen zugestellt wurden, waren meist mit beliebiger Asche gefüllt. Auf dem Jüdischen Friedhof in Hastedt finden sich Grabsteine für Hermann Weinstein und seine Frau Anna.

Den Söhnen war im Juli 1938 die Flucht nach Amerika gelungen, also kurz bevor ihr Vater nach Polen abgeschoben wurde. Leo Weinstein wurde Professor für Romanistik und war ein bedeutender Förderer des Fußballsports in den Vereinigten Staaten.

Verfasser:
Franz Dwertmann (2022)

Informationsquellen:
Arolsen Archives, mehrere Dokumente. Letzte online-Abfrage 28.3.2022
Bracht, Lukas: Leo Weinstein. In: Werder im Nationalsozialismus. Lebensgeschichten jüdischer Vereinsmitglieder. Bielefeld 2022, S. 115 – 128
Christoffersen, Peter: „Am Donnerstagabend kamen zwei von der Gestapo“. Die Abschiebung der Bremer polnischen Juden im Oktober 1938. Manuskript 2021
Gedenkstätte Bernburg, Mitteilung vom 29.3.2022
Mitteilungsblatt der Israelitischen Gemeine Bremen vom 1.5.1939
StA Bremen 4,54-E11287, 4,54-RÜ5465
Weser-Kurier vom 8.8.1987

Weitere Informationen:
Glossarbeitrag "Polenaktion"