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Johanne Jessen, *1911

EINGEWIESEN 1942 NERVENKLINIK, ´VERLEGT` 9.12.1943 HEILANSTALT MESERITZ-OBRAWALDE
ERMORDET 25.3.1944


Osterstraße 20
Bremen-Neustadt
ehemalige Straßenbezeichnung: Osterstraße 21

Verlegedatum: 09.10.2023


Osterstraße 20 - Weitere Stolpersteine:


Johanne Jessen

Johanne Jessen

Johanne Martot Jessen wurde am 10.2.1911 in Flensburg geboren. Ihre Eltern stammten aus Dänemark. 1934 wurde sie mit der Diagnose „Angeb. Schwachsinn“ in der Landesheilanstalt in Schleswig untergebracht. Mehrfach versuchte sie der Anstalt zu entkommen. Als sie im Februar 1935 floh, wurde sie jedoch kurze Zeit später vom Fahrer eines LKW auf dem Weg nach Flensburg aufgefunden und zurück in die Anstalt gebracht. In der folgenden Zeit wurde sie in der Familienpflege untergebracht. Auch von dort versuchte sie mehrfach zu entfliehen und berichtete auch von sexuellen Übergriffen in der Pflegefamilie. Im April 1937 wurde sie als „gebessert“ entlassen. Doch Johanne Jessen fand keinen Platz mehr in der Gesellschaft, wurde obdachlos und wechselte häufig von einer kürzeren Anstellung zur nächsten.

Aufgrund ihrer Diagnose „angeboren schwachsinnig“, wurde sie 1939 in Schleswig zwangssterilisiert und im selben Jahr „wegen Geistesschwäche entmündigt“. Ende Oktober wurde sie in die Landesarbeitsanstalt Glückstadt eingewiesen.

Weihnachten 1940 kam Johanne Jessen nach Bremen, wo sie eine Anstellung bei einem Schlachter gefunden hatte. Das Pflegeamt beaufsichtigte sie. Da sie offenbar großes Heimweh nach Flensburg hatte, wurde ihr im Juni 1941 ein Besuch ihrer Familie gestattet. Sie reiste per Bahn und kam pünktlich wieder zurück nach Bremen. Doch im März 1942 wurde ihr Arbeitgeber unzufrieden mit ihrem Verhalten. Sie treibe sich herum und wäre frech, habe Urlaub überschritten und sei von der Arbeit weggelaufen.

Anschließend wurde sie in eine Aufwäscherei im Bahnhof versetzt. Doch nach kurzer Zeit verließ sie auch diese Arbeitsstelle, und kam in unterschiedlichen Hotels in Bremen unter. In einem der Hotels wurde ihr vorgeworfen, wechselnde Soldaten mit auf ihr Zimmer genommen zu haben, die sie jeweils als ihren Verlobten ausgegeben habe. Daraufhin wurde sie im August 1942 dem Evangelischen Fürsorgedienst übergeben und in das Marthasheim in der Osterstraße gebracht. Hier wurden ihr strenge Regeln auferlegt. So durfte sie das Heim nicht mehr nach 18:30 Uhr verlassen, wogegen sie mehrfach verstieß. Ihr wurde angedroht, dass weitere Verstöße die Verlegung in eine andere Anstalt nach sich ziehen würden.

Am 24.10.1942 ging Johanne Jessen „ohne Erlaubnis aus und kam nachts nicht nach Haus“. Das Marthasheim machte seine Drohung war und so wurde sie am 27. Oktober in Begleitung einer Schwester des Fürsorgedienstes und eines Polizisten in die Bremer Nervenklinik gebracht. Dort erfolgte die Unterbringung, „um dadurch eine bessere Verwahrung des haltlosen und triebhaften jungen Mädchens gewährleistet zu sehen“, wie es in der Krankenakte vermerkt wurde. Dabei war Johanne Jessen zu diesem Zeitpunkt bereits über 30 Jahre alt. In Briefen, die nie abgeschickt wurden, schrieb sie deutlich, dass sie mit der Unterbringung in der Klinik nicht einverstanden gewesen war.

In der Bremer Nervenklinik wurde ihr vorgeworfen, kleine Diebstähle begangen und sexuelle Kontakte zu anderen Patientinnen gehabt zu haben. Dennoch wurde sie als geordnet und orientiert beschrieben, stand in Kontakt mit ihren Angehörigen und arbeitete „fleißig und willig“. Ihr Drang nach Freiheit war jedoch weiterhin stark und sie verlangte ihre Entlassung aus der Klinik. Diese wurde „für die Zeit der Kriegsdauer“ abgelehnt.

Am 9.12.1943 wurde Johanne Jessen mit einem Sammeltransport in die Heil- und Pflegeanstalt Meseritz-Obrawalde verlegt. Dort wurde sie am 25.3.1944 getötet. Als angebliche Todesursache wurde Geisteskrankheit und Herzschwäche verzeichnet.

Jannik Sachweh (2023)

Informationsquellen:
Archiv Krankenhaus-Museum Bremen, Krankenakten 20344
StA Bremen Einwohnermeldekartei

Weitere Informationen:
Glossarbeitrag "Heilanstalten"