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Biografie im Erinnerungsportal, kein Stolperstein vorhanden

Erwin Leeuwarden, *1919

1938 Flucht Niederlande, 1939 Lager Westerbork, 1944 Ghetto Theresienstadt, Auschwitz, ermordet


Erfurter Straße 12
Bremen-Walle

Erwin Leeuwarden

Erwin Leeuwarden

Erwin Leeuwarden wurde am 5.8.1919 in Seefeld (heute: Stadland, Landkreis Wesermarsch) geboren. Er war der Sohn von Levi Nathan Leeuwarden (geb. 1894 in Delmenhorst, gest. 1967 in Garmisch-Partenkirchen) und seiner Ehefrau Käthe, geb. de Vries (geb. 1895 in Oldenburg, gest. 1963 in Bremen). Das jüdische Ehepaar, seit 1915 verheiratet, hatte noch drei weitere Söhne: Harry (geb. 1917), Willi (geb. 1920 in Varel) und Siegfried (geb. 1925 in Varel). Die Familie Leeuwarden lebte von 1926 bis zum 21.11.1938 in Bremen. Zuletzt in der Erfurter Straße 12.

Vater Levi war Schlachtermeister, arbeitete u.a. im Konsum "Vorwärts" sowie im Bremer Schlachthof, ab 1929 in den Emil Fritz Betrieben, bis er im August 1935 die Stelle aufgeben musste. Zuletzt arbeitete er ab Juni 1936 als Büroangestellter in der Handweberei Hohenhagen. Erwin Leeuwarden arbeitete als landwirtschaftlicher Gärtner.

Erwin beging im August 1932 seine Barmitzwah-Feier. Die Familie wohnte zu dem Zeitpunkt in der Regensburger Straße 109.

Nach den Ereignissen des Novemberpogroms 1938 beschloss die Familie in die Niederlande zu flüchten. Die Söhne Harry und Willi lebten bereits seit 1937 in Amsterdam. Nach Schilderung von Vater Levi hatte die Familie kein Einreisevisum. Am Grenzbahnhof in Weener wurden sie von der Gestapo aus dem Zug geholt, mussten sich vollständig entkleiden und wurden nach Wertsachen untersucht; Gefundenes wurde beschlagnahmt, ihnen verblieben am Ende nur 10 RM pro Person. Die Familie wurde am 21.11. in Nieuweschans dann von der niederländischen Gendarmerie aus dem Zug geholt und bei einer jüdischen Familie im Ort einquartiert. Das Haus durfte nur zu bestimmten Zeiten am Tag verlassen werden. Das niederländische Jüdische Flüchtlingskomitee kam für die Kosten der Unterkunft auf.

Am 4.4.1939 wurde die Familie in das Flüchtlingslager Lloyd Hotel in Amsterdam umquartiert. Das Lager war von Zivilisten bewacht. Die Bewohner wurden zu Arbeiten innerhalb des Hauses herangezogen. Anfang September 1939 wurde das Lager aufgelöst, den Eltern eine andere Unterkunft zugewiesen. Die Söhne Erwin und Siegfried kamen zunächst in Baracken neben dem Lloyd Hotel unter und wurden dann am 16.11.1939 in das im Mai errichtete Flüchtlingslager Westerbork eingewiesen. Hier waren zu dem Zeitpunkt illegale als auch legale obdachlose jüdische Flüchtlinge untergebracht. Die Insassen hatten Bewegungsfreiheit auch außerhalb des Lagers und konnten Reiseerlaubnisse z.B. nach Amsterdam beantragen.

Von Erwin Leeuwarden ist ein entsprechender Antrag vom 30.11.1939 erhalten geblieben. Er bat um Erlaubnis, seine Eltern in Amsterdam über die Weihnachtstage besuchen zu dürfen, da er dann gleichzeitig die verbilligten Festtagskarten der Niederländischen Eisenbahn ausnutzen könnte. Die Lagerleitung schlug am 2.12.39 der Genehmigungsbehörde vor, ihm eine Woche Urlaub zu gewähren. Da er vermutlich kein Fahrgeld habe, könne er das möglicherweise von den Eltern bekommen.

Gleichzeitig wurde auf seinen körperlichen Zustand eingegangen. Danach war Erwin sehr schwer sehbehindert – "vor 14 Tagen habe er gerade wieder eine neue Brille bekommen, mit der er aber noch nicht gut sehen könne" – und "ziemlich dement". Er sei guten Willens aber "praktisch für überall unbrauchbar" und nur für leichte Hausarbeit in der Baracke einsetzbar. Ob er seine Eltern besuchen konnte, ist aus den Dokumenten nicht ersichtlich.

Ab Juli 1940 wurde das Lager Westerbork vom Justizministerium verwaltet. Der Charakter des Lagers änderte sich zunehmend. Es wurde mit Stacheldraht umzogen, Wachtürme rund um die Einzäunung errichtet, die Bewegungsfreiheit eingeschränkt und Strafbestimmungen erlassen. Ab Januar 1942 übernahmen der Befehlshaber der Sicherheitspolizei und der SD das Lager.

Levi und Käthe Leeuwarden kamen am 29.8.1942 nach Westerbork. Die Familie Leeuwarden genoss im Lager Privilegien. Levi L. besaß eine Arbeitskarte, womit er auch außerhalb des Lagers arbeiten konnte. Sie lebten im Lager in einer kleinen Wohnung. Erwin fiel unter die Häftlingskategorie "Juden, die sich um den Aufbau und den Lagerbetrieb von Westerbork verdient gemacht haben nebst ihren Angehörigen". Dieser Gruppe von Häftlingen war mündlich von Adolf Eichmann in Den Haag ein Sonderstatus zugesagt worden. Darauf ist vermutlich auch ihr später Abtransport in das Ghetto Theresienstadt und nicht direkt in ein Vernichtungslager zurückzuführen.

Am 20.4.1943 wurden beide nach Theresienstadt deportiert, wo sie ihre Befreiung erlebten und am 6.5.1945 in die Niederlande zurückkehrten. Siegfried sowie sein Bruder Willi erlebten ihre Befreiung am 28.4.1945 in Dachau.

Am 18.1.1944 wurden Erwin Leeuwarden und sein Bruder Siegfried in das Ghetto Theresienstadt und am 28.9.1944 nach Auschwitz deportiert. Erwin, aufgrund seiner Behinderungen vermutlich nicht für arbeitsfähig angesehen, wurde am 2.10.1944 in den Gaskammern des Vernichtungslagers ermordet.

Siegfried wurde am Tag nach seiner Ankunft weiter in das KZ Dachau verlegt.

Harry Leeuwarden war im Februar 1937 in die Niederlande geflohen, da er befürchtete, wegen "Rassenschande" verhaftet zu werden. Er konnte in Amsterdam in dem Reisebüro Intertour eine Anstellung finden, dessen Inhaber im Widerstand arbeitete. Nach der Besetzung der Niederlande wurde Harry von der Gestapo Wilhelmshaven in Amsterdam verhaftet, nach Deutschland gebracht, unter Folter verhört und am 20.1.1942 vom Volksgerichtshof in Berlin zu sechs Jahren Zuchthaus wegen "Beihilfe zur landesverräterischen Ausspähung" verurteilt. Nach kurzer Zeit im Zuchthaus kam er ins Konzentrationslager, und war in Buchenwald, Sachsenhausen, Neuengamme, Auschwitz und Mauthausen interniert. Er gehörte dann zu den Häftlingen, die auf Vermittlung des Grafen Bernadotte im März 1945 in die Schweiz entlassen wurden.

Wegen fehlender Kontakte zu Familienangehören konnte bislang kein Stolperstein verlegt werden.

Peter Christoffersen (2025)

Informationsquellen:
Staatsarchiv Bremen, Akten 4,54-E2869, 4,54-E2518, 4,54-E2636
Arolsen Archives
Bericht Archiv Kamp Westerbork
www.joodsmonument.nl
Frerichs, Holger: Biografie Familie Leeuwarden, in: www.weinberghaus.eu/wp-content/uploads/2024/09/BIO-Leeuwarden-Familie-compr.pdf

Abbildungsnachweis: Staatsarchiv Bremen

Weitere Informationen:
Glossarbeitrag Westerbork
Glossarbeitrag Theresienstadt
Glossarbeitrag Auschwitz