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Herbert Sprei, *1920

emigriert 1939 in die Tschechoslowakei KZ Sachsenhausen
tot 26.10.1942


Fliederstr. 41b
Bremen-Hemelingen


Fliederstr. 41b - Weitere Stolpersteine:


Herbert Sprei

Herbert Sprei

Herbert Sprei

Karl Herbert Sprei wurde am 6.10.1920 in Bremen geboren und war der Sohn des Kürschners Salomon Hilel Sprei (geb. 1890 in Wisnicz/Polen) und seiner Ehefrau Emma, geb. Ginsberger (geb. 1892 in Mannheim). Das Ehepaar, seit 1919 verheiratet, hatte zwei Kinder: Herbert und Hans-Hartwig (geb. 1930 in Bremen). Deren Großeltern waren bereits 1901 aus Galizien nach Bremen zugewandert.

Wie schon der Großvater besaßen auch Herbert Spreis Eltern in Bremen ein Pelzgeschäft, zuletzt Am Wall 171, das von der Mutter geführt wurde, während der Vater die Werkstatt betrieb. Im Mai 1935 musste der Betrieb aufgrund der nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen aufgegeben werden.

Im November 1936 wurde Salomon Sprei zu einer fünfmonatigen Gefängnisstrafe verurteilt, weil Forderungsrückstände aufgrund der wirtschaftlichen Situation nicht hatten beglichen werden können. Das Gericht wertete dies als Betrug. Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis versuchte er mit Schwarzarbeit seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Vom 13.6. bis 18.6.1938 wurde er „als Jude in polizeiliche Vorbeugehaft“ genommen und war anschließend bis zum 9. August im KZ Sachsenhausen interniert. Die Familie wohnte zuletzt in der Wachmannstraße 32. Kurz vor ihrer Auswanderung waren sie im „Judenhaus“ in der Wilhelmshavener Straße 3 untergebracht. Salomon Sprei konnte am 6.10.1938 mit seiner Frau und dem jüngeren Sohn Hans Deutschland verlassen und nach Argentinien emigrieren.

Herbert Sprei besuchte von Ostern 1931 bis Ostern 1937 das Realgymnasium (heute Hermann-Böse-Gymnasium), das er nach seiner Versetzung in die Obersekunda verließ. Das Abgangszeugnis enthält den Vermerk: „Er verläßt das Realgymnasium nach ordnungsmäßiger Abmeldung.“ Ob er wegen seiner jüdischen Herkunft von der Schule gewiesen wurde, so in der Erinnerung seines Vaters, ist nicht belegt. Ein generelles Schulverbot für Juden hatte es bis zum 15.11.1938 in Bremen nicht gegeben. Er arbeitete danach als kaufmännischer Volontär bei der Altmetallhandelsfirma Heinz Neumark, die ihren Sitz in der Baumwollbörse hatte. Herbert, der sich als Metallklassifizierer bezeichnete, verlor 1937 mit der zwangsweisen Auflösung der „jüdischen Firma“ seine Arbeitsstelle.

Sein Onkel Adolf und er waren aktive Tischtennisspieler im Jüdischen Turn- und Sportverein Bar Kochba. 1933/1934 wurde Adolf zum 1. Vorsitzenden des Vereins gewählt. 1937 kam es zu einer bremischen Tischtennis-Meisterschaft zwischen dem JTSV Bar Kochba und der Sportgruppe „Schild“, die zum Reichsbund jüdischer Frontsoldaten gehörte. Das Jüdische Gemeindeblatt Bremen berichtete am 1.5.1937: „Im Herren-DopHerbert Sprei pel siegten Wohlmuth/Silbermann („Schild“) im Endspiel über Herbert Sprei/Hopp (Bar Kochba).“

Es gibt ein schriftliches Zeugnis über Herbert Spreis politische Arbeit, aufgezeichnet von Gerhard Zadek (Jude, im kommunistischen Widerstand, Exil in England, nach dem Krieg Journalist und Ingenieur in der DDR). Dieser war mit ihm freundschaftlich und politisch verbunden. Zadek gehörte der kommunistischen Widerstandsgruppe um Herbert Baum an. Weiter war er dem Hashomer Hatzair (sozialistisch-zionistische, pfadfinderähnliche Jugendorganisation) angeschlossen. Diese hatte ein von der Gestapo genehmigtes Reichstreffen vorbereitet, das im Sommer 1936 in einem Zeltlager in Porschendorf bei Pirna stattfand. In dieser Gruppe waren auch Herbert Sprei und Günter Hopp, der in Bremen in seiner unmittelbaren Nachbarschaft wohnte und gleichaltrig war. Dort lernte Zadek die beiden kennen. Er beschreibt Herbert als einen lebenslustigen, fidelen Kerl, der Klampfe spielte und gerne „bis zur Heiserkeit“ sang. Er habe das Talent gehabt, jüdischen Jugendlichen in Bremen in einer feindlichen Umwelt Mut zu machen und sie „von ihren teilweise sogar fatalistischen Auffassungen abzubringen“. In Bremerhaven soll er zudem eine Gruppe jüdischer Kinder gleichgesinnter Eltern geleitet und mit ihnen Kästner, Gorki und Tucholsky gelesen haben. Die Lagerbibliothek in Porschendorf, die vornehmlich aus zionistischer Literatur bestand, war wegen ständiger Kontrollen durch die örtliche Gestapo frei von kommunistischen Büchern. Ihre Literatur hätten sie im Kopf haben müssen, so Zadek; das Kommunistische Manifest im Gepäck zu haben, wäre nicht gerade ratsam gewesen. Ein Ausspruch von Herbert Sprei ist Zadek in diesem Zusammenhang in Erinnerung geblieben: „Hauptsache unsere Weltanschauung ist im Oberstübchen gut vertäut.“

Günter Hopp, der am 5.4.1939 mit seinen Eltern nach Shanghai floh, hatte kurz vor seiner Abreise Zadek vom weiteren Schicksal seines Freundes Herbert informiert. Danach soll dieser Mitte 1938 mehrfach die „grüne Grenze“ zur Tschechoslowakei überquert haben, möglicherweise um Kontakt zu antifaschistischen Jugendlichen aufzunehmen. Einmal erhielt Zadek von ihm aus einer Telefonzelle in Dresden einen Anruf: „Ich bin wieder da, alles ging gut.“ Dann sei er in Děčín (nahe der sächsischen Grenze) in eine Ausweiskontrolle geraten. Da er ein für die tschechische Polizei unlesbares Notizheft in stenografischer Schrift mit sich geführt habe, sei er als vermeintlicher deutscher Spion verhaftet und in Prag ins Gefängnis gekommen.

Nach seiner Entlassung, der Zeitpunkt ist nicht bekannt, sei Herbert auf „abenteuerliche Weise“ wieder nach Bremen zurückgekommen. Das könnte bedeuten, dass er sich „illegal“ in Deutschland aufhielt und vermutlich erst nach der Ausreise seiner Eltern (6.10.1938) wieder in Bremen eintraf. Sein Reisepass könnte aufgrund einer Verordnung vom 5.10.1938 ungültig geworden sein. Herbert habe bei Hopps vor der Wohnung gestanden und um Unterkunft gebeten. Sally Hopp, Günters Vater, habe ihn zwar aufgenommen, aber angehalten, sich am nächsten Morgen polizeilich zu melden. Bei der Polizei wurde er dann verhaftet – ob aus politischen Gründen oder wegen nicht erlaubter Rückkehr aus dem Ausland als jüdischer Remigrant, kann heute nicht mehr geklärt werden.

Nach einem Dokument aus dem KZ Buchenwald befand er sich seit dem 25.10.1938 in Bremen in „Schutzhaft“. Am 10.12.1938 wurde er als „Schutzhaft-Jude“ ins KZ Buchenwald mit der Häftlingsnummer 2038 eingeliefert. Als letzte Wohnadresse gab er Bremen, Holbeinstraße 5, an (die Wohnung von Hopp). Während seines Lageraufenthalts „verdiente“ er durch Zwangsarbeit insgesamt 58,60 RM, als Abgang wurden 33,60 RM aufgelistet, somit verblieben ihm noch 25,00 RM, als er am 25.8.1939 aus dem KZ entlassen wurde. Über seine Zeit im Konzentrationslager schrieb er seinen Eltern: „Es war ungeheuer schwer und hart, und dennoch bereue ich nicht, es durchlebt zu haben, denn eine bessere Schule gibt es nicht, und mich kann nichts mehr erschüttern.“

Günter Hopp überreichte Gerhard Zadek die Durchschrift eines Briefes (datiert vom 15.4.1939 – also nach seiner Flucht nach Shanghai), den er an Hermann Göring geschrieben hatte und in dem er um die Freilassung Herberts aus dem KZ bat. Weiter sollen Hopps für ihn 1.000 RM für eine Fahrkarte nach Shanghai hinterlegt haben. Zadek solle die Angelegenheit weiter verfolgen, wozu er aber aus unbekannten Gründen nicht kam.

Aus dem Konzentrationslager nach Bremen zurückgekehrt, meldete sich Herbert bei Rolf de Vries in der Westerstrasse 28 für die Zeit vom 7.9.1939 bis 25.9.1939 an. Anschließend wohnte er bis zum 9.11.1939 bei Metha Eppenstein in der Fliederstraße 41b. Für kurze Zeit fand er Beschäftigung als Lagerarbeiter mit einem Verdienst von 34,60 RM wöchentlich. Seinen Eltern berichtete er, dass er alle Papiere für die Flucht nach England zusammengehabt habe, als am 1.9.1939 der Krieg begann und das Auswanderungsziel unerreichbar wurde. Vermutlich stand er auch unter besonderer Überwachung durch die Gestapo, da er seinen Eltern in seinem letzten Brief vom 19.9.1939 schrieb: "Es besteht leider die große Gefahr für mich, dass ich dort wieder hin muss, wo ich hergekommen bin. Ich werde es mit Fassung tragen. Ihr müsstet Euch in diesem Falle – wenn Ihr keine Post mehr von mir erhaltet, dürfte es geschehen sein – sofort an den hiesigen Hilfsverein, Kohlhökerstr. 6, wenden und für meine Auswanderung sorgen."

Es gibt einen Hinweis, dass Herbert Sprei am 26.10.39 aus „politischen Gründen erkennungsdienstlich behandelt“ worden ist. Am 18.11.1939 vormittags wurde er unter der Nummer 10026 im KZ Sachsenhausen als Zugang registriert. Ob er sich zwischen dem 9.11.1939, dem Tag seiner Abmeldung mit dem Ziel „unbekannt“, und dem 18.11.1939 noch in örtlicher „Schutzhaft“ befand, lässt sich nicht mehr ermitteln.

Sein Vater wurde 1942 von der jüdischen Auswanderungshilfsorganisation HICEM über eine Suchanzeige auf den Verbleib seines Sohnes aufmerksam gemacht. Er berichtete 1956: „Auf Veranlassung des Hilfsvereins Berlin wurde ich vom HICEM Buenos Aires durch Anzeige im Argentinischen Tageblatt gesucht, um mir mitzuteilen, dass mein Sohn Karl Herbert Sprei sich im Lager Sachsenhausen befände. Durch Rückfrage bei dem Berliner Hilfsverein erfuhr ich, dass mein Sohn sich noch im September 1942 in dem Lager aufhielt.“ Über die schicksalhafte Bedeutung dieser Nachricht konnte er sich ein Bild machen, da er selbst im KZ Sachsenhausen interniert gewesen war. Eine weitere Nachricht erreichte die Familie nicht mehr.

Am 25.10.1942 wurde Herbert Sprei aus dem KZ Sachsenhausen mit 453 weiteren jüdischen Häftlingen in das KZ Auschwitz überführt. Bei der Ankunft wurde er unter der Häftlingsnummer 70191 registriert. Bereits am folgenden Tag, dem 26.10.1942, wurde sein Tod im Buch des Häftlingskrankenbaus des Block 28 eingetragen. Danach verstarb er angeblich an „Lungen-TBC“.

Nahezu alle Geschwister Salomon Spreis wurden Opfer des Holocaust: Elsa Sprei 1941 in Lodz; Jacob Sprei 1942 in Auschwitz; Berta Sprei, verh. Wüstenbecker, und ihr Sohn Rolf Feiczewicz im Ghetto Minsk. Adolf Sprei emigrierte 1938 in die USA. Salomon Sprei verstarb 1959, seine Ehefrau Emmi 1985, beide in Buenos Aires.

Für Bertha Wüstenbecker und Rolf Feiczewicz wurden in Bremen in der Rembrandtstraße Stolpersteine verlegt. An Elsa Sprei wird mit einem Stolperstein in Hamburg in der Isestraße 21 gedacht. Ein Stolperstein für Jacob Sprei in Bremen ist in Planung.

Herberts Eltern kamen über den Verlust ihres ermordeten Sohnes nie hinweg, wie ein Enkel berichtete. Ihr jüngster Sohn Hans war in Buenos Aires als Chemiker tätig und hatte zwei Söhne: Carlos (Vorname in Erinnerung an Karl Herbert) und Gustavo. Carlos verbrachte viele Jahre im brasilianischen Exil, da er während der Diktaturzeit aus politischen Gründen aus Argentinien hatte fliehen müssen. Tomás Sprei, Sohn von Gustavo, besuchte 2014 als Erster seiner Familie wieder Bremen, um in der Heimat seines Großvaters und seiner Urgroßeltern nach Spuren seiner Familie zu suchen.

Peter Christoffersen (2023)

Informationsquellen:
StA Bremen 4,54-E10043; 4,54-E10044; Einwohnermeldekartei
Auszüge aus dem Brief von Herbert Sprei an seine Eltern vom 19.9.1939, Auskünfte der Familie Sprei
Pfeiffer, Lorenz/Wahlig, Henry: Juden im Sport während des Nationalsozialismus, Göttingen 2012, S. 119
Zadek, Alice u. Gerhard: Mit dem letzten Zug nach England, Berlin 1992, S. 96ff.; Der Bremer Antifaschist, Ausgabe
8/2003; Archiwum PMAB-Auschwitz Museum Archives; ITS Arolsen, Archiv 1.1.2.1/525967 und 1.1.5.3/7169772

Abbildungsnachweis: Privatbesitz

Weitere Informationen:
Glossarbeitrag Sachsenhausen
Glossarbeitrag Auschwitz