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Hannelore Ginsberg, *1923

deportiert 1941
ermordet in Minsk


Schwachhauser Heerstr. 18/Ecke Parkstr.
Bremen-Schwachhausen
ehemalige Straßenbezeichnung: Parkstr. 1


Schwachhauser Heerstr. 18/Ecke Parkstr. - Weitere Stolpersteine:


Hannelore Ginsberg

geb. 27.8.1923

Hannelore Ginsberg kam als drittes Kind des Viehhändlers Julius Ginsberg (1886) und seiner aus dem nahegelegenen niedersächsischen Lemförde stammenden Frau Erna, geb. Horwitz (1889) in Rahmen/Westfalen zur Welt. Sie war nach den beiden Brüdern Werner und Helmut (geb. 1913 und 1917) das erste Mädchen in der Familie. Als Hannelore drei Jahre alt war, starb die Mutter. In der 1928 geschlossenen zweiten Ehe ihres Vaters mit Clara Hurwitz wurde 1929 noch ein weiteres Kind geboren, die Schwester Ruth.

Auf der Meldekarte der Familie Ginsberg ist vermerkt, dass Hannelore 1933 aus Lemförde nach Rahden in ihr Elternhaus in der Marktstraße 20 zuzog. In Lemförde lebten als einzige enge Verwandte der Familie die Eheleute Horwitz. Willi Horwitz war der Bruder von Hannelores Mutter, der Johanna (Hanna) Ginsberg, die Schwester ihres Vaters, geheiratet hatte. Das Paar hatte keine eigenen Kinder. Viel spricht dafür, dass der verwitwete Vater seine kleine Tochter nach dem frühen Tod der Mutter zunächst bei Schwester und Schwager untergebracht hatte; in jener Zeit war gerade in den großen, durch vielfältige verwandtschaftliche Bande verflochtenen Viehhändlerfamilien die Versorgung von Kindern durch nahestehende, insbesondere kinderlose Angehörige nicht unüblich. Auch Hannelores Bruder Werner lebte in den 1930er Jahren zeitweilig bei Onkel Willi und Tante Hanna in Lemförde.

Zurückgekehrt nach Rahden, musste Hannelore die dortige evangelische Volksschule besuchen, da es im gesamten Landkreis Lübbecke keine jüdische Schule gab. Zeitzeugen überlieferten nachdrücklich, welchen Schikanen die elf verbliebenen jüdischen Kinder in dieser Schule ausgesetzt waren: sie mussten allein sitzen und wurden nicht beachtet; wenn sie sich meldeten, wurden sie nicht aufgerufen. Jeder persönliche Kontakt mit nichtjüdischen Schülern war ihnen strengstens untersagt. Nach der Reichspogromnacht 1938 wurde ihnen der Schulbesuch dort schließlich ganz verwehrt. Viele Eltern versuchten daher, ihre Kinder in jüdischen Schulen oder Ausbildungsstätten außerhalb des Landkreises Lübbecke unterzubringen, zumal die Schulpflicht bis zum Verbot der jüdischen Schulen Mitte 1942 fortbestand. Hannelore konnte ihre Volksschulzeit in Rahden noch beenden, danach zog sie dort zunächst mit ihrer Tante Hanna zusammen, die nach dem Tod ihres Mannes wieder in ihre Heimatstadt zurückgekehrt war. Die zehnjährige Ruth wurde von den Eltern 1939 in der Familie von Hedwig Saul, einer Schwester ihrer Mutter, in Berlin untergebracht, wo sie ab Oktober eine jüdische Schule besuchen konnte.

1939 hatte Hannelore schließlich das Glück, einen der begehrten Ausbildungsplätze in der Israelitischen Gartenbauschule in Ahlem zu bekommen. Die 1893 gegründete Ausbildungsstätte vor den Toren Hannovers hatte die Anzahl ihrer Ausbildungsplätze von 1933 an stetig aufgestockt, 1936 wurde auch die Hauswirtschaftsabteilung für Mädchen und junge Frauen wieder eingerichtet. Unter dem steigenden Auswanderungsdruck passte die Schule auch die Lehrinhalte an und konzentrierte sich zunehmend auf die Vorbereitung der Auswanderung, vornehmlich nach Palästina. Für ihre Schüler war Ahlem ein „ Zufluchtsort auf Zeit“, an dem sie befreit von Diskriminierungen lernen und ihre Freizeit gestalten konnten, dabei ihre jüdische Identität leben durften und mit der Vorbereitung auf die Auswanderung wieder eine Perspektive für ihr Leben bekamen.

Hannelore Ginsberg war ab 23.6.1939 als Internatsschülerin in Ahlem gemeldet, etwa zeitgleich startete dort ein von der Jugend-Alijah organisierter mehrmonatiger Aus- wanderungskurs (Mittlere Hachschara), an dem 41 Jugendliche zwischen 14 und 16 Jahren teilnahmen, darunter elf Mädchen. Es ist gut möglich, dass sie eine von ihnen war und später in den parallel zum Schuljahr 1940 angebotenen externen „Vorbereitungskurs zur Auswanderung für schulentlassene Jugendliche“ überwechselte. Zweifelsfrei belegen lässt sich dies jedoch nicht, da die Teilnehmerunterlagen der Schule nicht mehr erhalten sind.
In den Weihnachtsferien 1939/40 besuchte Hannelore Ginsberg von Ahlem aus ihre Tante Hanna in Bremen, wohin diese nach der Vertreibung aus ihrem Haus in Rahden gezogen war. Aus dieser Zeit datiert Hannelore Ginsbergs Bremer Einwohnermeldekarte, auf der sie als „Haushaltsschülerin“ geführt wird.

Einigen Absolventen der Ahlemer Kurse gelang nach Kriegsausbruch noch die Auswanderung, nicht jedoch Hannelore Ginsberg: Sie blieb bis August 1940 in Ahlem, danach zog sie ins Zentrum von Hannover in die Theodorstraße 5a, ein Haus, das damals noch in jüdischem Besitz war und überwiegend von jüdischen Mietern bewohnt wurde. Nur zwei Monate später war sie dann in Bremen in der Legion-Condor-Straße 1 (vor 1939 Parkstraße 1, heute Schwachhauser Heerstraße 18/Ecke Parkstraße) gemeldet, einem „Judenhaus“, in dem schon ihre Tante Hanna lebte. Gemeinsam mit dieser wurde die erst 18-jährige Hannelore Ginsberg am 18.11.1941 ins Ghetto Minsk deportiert. Sie wurden ermordet: Sofern sie nicht den unmenschlichen Lebensbedingungen im Ghetto erlagen, fielen sie einer der Massenmordaktionen zum Opfer, die Ende Juli 1942 begannen.

Bis zum Zwangsverkauf 1941 war Hannelore Ginsbergs Elternhaus das letzte Haus in Rahden, das sich noch in jüdischem Besitz befand, es wurde als „Judenhaus“ genutzt. Am 30.3.1942 wurden Julius, Clara und die zwölfjährige Ruth Ginsberg von hier aus über Bielefeld ins Warschauer Ghetto deportiert, wo alle drei ihr Leben verloren.

Die Fluchtversuche von Hannelores Brüdern scheiterten: Diese hatten Hannover, ihren letzten Wohnort in Deutschland, im Juni 1939 gemeinsam verlassen und sich nach Belgien absetzen können. Werner wurde dort in Malines/Mechelen interniert, Helmut, der nach Frankreich weiter geflohen war, zuletzt in St. Cyprien. Beide wurden aus den jeweiligen Internierungslagern in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort ermordet.

Vor dem Haus in der Marktstraße 20 in Rahden liegen Stolpersteine für Julius, Clara, Wer- ner, Helmut, Hannelore und Ruth Ginsberg. Aus dieser Familie hat keiner überlebt, sie ist durch die Nationalsozialisten ausgelöscht worden.

Verfasserin:
Christine Nitsche-Gleim (2017)

Informationsquellen:
StA Bremen Einwohnermeldekartei
Archiv Rahden Einwohnermeldekartei
Meldebuch der Gemeinde Ahlem (Stadt Hannover, FB Recht und Ordnung, Bürgeramt Mitte)
Kartei der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland, unter: www.digitalcollections.its-arolsen.org
Jüdische Geschichte im Landkreis Diepholz, unter: www.juedische-geschichte-diepholz.de
Beckmann, Volker: Die jüdische Bevölkerung der Landkreise Lübbecke und Halle i. W. (1815 -1945). Vom Vormärz bis zur Befreiung vom Faschismus, Dissertation an der Universität Bielefeld, überarbeitet 2015, unter: www.jacobs- Verlag.de wp-content/uploads/2015/07 Beckmann.pdf
Ester-Hartke, Ursula (Hrsg.): Sie lebten mitten unter uns. Spurensuche Juden in Rahden. Projekt der Geschichtswerkstatt der Hauptschule Rahden, 1997
Schmid, Hans-Dieter (Hrsg.): Ahlem. Die Geschichte einer jüdischen Gartenbauschule, Bremen 2008

Weitere Informationen:
Glossarbeitrag Auswanderung
Glossarbeitrag "Judenhäuser"
Glossarbeitrag Minsk