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Gerda Hartmann, geb. Hillmann (gen. Weissbraun), verw. van Perlstein, *1908

Im Widerstand / KPD
Flucht Prag/London - überlebt


Am Brahmkamp 26
Bremen-Horn-Lehe

Gerda Hartmann

Gerda Hartmann

Gerda Hartmann wurde am 5.3.1908 als ältestes Kind des Kaufmanns Leiser Hillmann gen. Weißbraun, und seiner Frau Laje, geb. Torczyner in Bremen geboren. Ihre Eltern stammten aus Ostgalizien, das bis zum Ende des Ersten Weltkrieges zum Habsburger Reich gehörte. Beide waren Ende des 19. Jahrhunderts von dort über Wien ins Deutsche Reich ausgewandert. Gerdas Mutter lebte schon seit 1896 in Bremen und betrieb in hier ein kleines Geschäft für Auswanderer. Ihr Vater hatte zunächst versucht, sich an verschiedenen Orten im Deutschen Reich eine wirtschaftliche Existenz aufzubauen, bevor er sich mit Laje verlobte und 1907 ebenfalls in Bremen niederließ. Auch seine Geschwister Israel Weißbraun und Sara, verh. Barthel, wurden in Bremen ansässig und gründeten hier ihre Familien.

Nach ihrer Heirat zogen Leiser und Laje Hillmann 1908 in die Roßstraße 16 in der Doventorsvorstadt. Hier wuchsen ihre drei Kinder auf: die Töchter Gerda und Marie (geb. 1909) sowie der Sohn Leopold, gen. Dagobert (geb.1911).

Leiser Hillmann gründete in der Hemmstraße gegenüber dem Norddeutschen Lloyd ein Geschäft für Auswanderer und übernahm das Geschäft seiner Frau als Filiale. In unmittelbarer Nähe lagen die Mißlerhallen, in denen damals die Auswanderer aus aller Herren Länder bis zur Abfahrt ihres Schiffes untergebracht wurden. Der Kontakt mit diesen Menschen prägte Gerda Hartmann schon früh. In einem 1998 in der Zeitschrift „Konfliktforschung Aktuell“ erschienenen Interview erinnerte sie sich:

„Für mich als Kind waren diese ausländischen Menschen besonders faszinierend. Die Frauen hatten weite bunte Röcke und trugen ihre Kinder in einem Tuch, das über den Rücken gebunden war. Die Männer kauften im Geschäft meines Vaters Gummimäntel, lange Stiefel usw., um für ländliche Gegenden in Amerika ausgerüstet zu sein. Besonders gefiel mir, daß sie fast alle Musikinstrumente beherrschten und die auch im Laden meines Vaters kauften. Ich war begeistert, wenn sie dann im Laden auf der Mundharmonika oder Ziehharmonika ihre nationalen Weisen und Tänze vorführten. Ich war ja noch ein kleines Kind. Das war meine erste internationale Erfahrung, die mich auch für später prägte, denn der Internationalismus und der Friedenskampf wurden zu Leitmotiven meines Handelns.“

Gerda Hartmann hatte ursprünglich Konzertsängerin werden wollen, ihr Vater, der inzwischen in der Textilbranche tätig war, verlangte aber, dass sie eine kaufmännische Ausbildung aufnahm. Und so besuchte sie die Handelsschule des Frauen-Erwerbs-Ausbildungsvereins. Die praktische kaufmännische Ausbildung absolvierte sie bei der Bremer Firma Falkenstein und Oswald und im Textilbetrieb ihres Vaters. Mit dem Abschluss der Ausbildung wurde sie wirtschaftlich von ihren Eltern unabhängig und konnte 1928 zu Hause ausziehen, die politischen und weltanschaulichen Differenzen mit ihren Eltern, die sie als konservativ und streng orthodox schildert, hatten das Zusammenleben zunehmend schwierig gestaltet.

Ihr Herz schlug links: 1927 wurde sie als 19-Jährige aktives Mitglied der radikal-bürgerlichen „Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit“, später trat sie auch der „sozialistischen Studiengemeinschaft“, einer Organisation der KPD, bei. Beide Organisationen wurden nach der Machtergreifung sofort verboten. Die Internationale Frauenliga hatte sich noch im Januar 1933 auf einer Friedenskundgebung im Münchener Hofbräuhaus, bereits massiv bedroht von der SA, leidenschaftlich gegen den Faschismus positioniert: „Hitler bedeutet Krieg, schützt Eure Kinder, lasst Euch nicht von diesen Phrasen bluffen, hinter diesen steht die brutalste Gewaltpolitik, die ihr alle am Leib zu spüren bekommt.“

Da der Beginn ihrer Berufstätigkeit mit der Weltwirtschafskrise zusammenfiel, wurde Gerda Hartmann in der Folgezeit oft arbeitslos. Nachdem sie in einer Maßnahme des Bremer Arbeitsamtes durch ihr soziales Engagement für andere Teilnehmer positiv aufgefallen war, gewährte man ihr 1931 ein viermonatiges Stipendium für einen Frauensonderlehrgang an der Volkshochschule Dreißigsacker bei Meiningen, einem renommierten Reformschulprojekt der Weimarer Zeit. Anschließend stellte das Bremer Arbeitsamt sie auf seiner Außenstelle in Delmenhorst ein, wo sie mit der Betreuung der Arbeiterinnen der „Norddeutschen Woll- und Kammgarnspinnerei“ und der „Jutespinnerei“ beauftragt wurde. Mit dem Erlass des “Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ wurde sie jedoch 1933 fristlos entlassen. Fortan musste sie sich mit wechselnden Gelegenheitsarbeiten mühselig durchschlagen.

Bereits vor 1933 hatte Gerda Hartmann aufgrund ihrer politischen Orientierung und Vernetzung Kontakte in ein antifaschistisches, linkes Milieu. Nach der Machtergreifung baten sie dann Mitglieder der „sozialistischen Studiengemeinschaft“, die mittellosen Familien von verhafteten Funktionären der verbotenen KPD zu unterstützen. Sie kam der Bitte nach, indem sie Einsprüche an Fürsorgeämter und Wohnungsbaugesellschaften verfasste, Geld für die Unterstützung der Familien zu sammelte etc.

Berührung mit dem organisierten illegalen Widerstand bekam Gerda Hartmann dann über Walter van Perlstein (s. Biographie), einem kommunistischen jüdischen Schauspieler und Regisseur, den sie auf einem Fest des Bremer Künstlerbundes kennengelernt hatte. Den Kontakt zu ihm hatte ihr Bruder vermittelt, ob dieser selbst im Widerstand aktiv war, lässt sich in hiesigen Archivunterlagen nicht mehr klären. Van Perlstein war zum Zeitpunkt ihrer ersten Begegnung noch in erster Ehe verheiratet, diese Ehe wurde jedoch kurz darauf geschieden. Am 9.2.1936 heirateten Gerda Hillmann und Walter von Perlstein, und sie zog zu ihm in den Brahmkamp 26.

Walter von Perlstein war zu diesem Zeitpunkt weiterhin im kommunistischen Widerstand aktiv, obwohl er im März 1933 bereits für mehrere Wochen im KZ Mißler inhaftiert und misshandelt worden war. Er war Mitglied in einer illegalen KPD-Gruppe, in die auch Gerda Hartmann im Februar 1935 durch den Widerstandkämpfer Hermann Goldschrafe (s. Biographie) aufgenommen wurde. Die Gruppe verfasste Flugblätter und brachte sie in Umlauf, sie gab antifaschistische Literatur und Propaganda weiter und hielt Kontakt zu anderen illegalen Gruppen und untergetauchten KPD-Funktionären und organisierte Quartiere für sie, wenn sie sich auf der Durchreise in Bremen befanden. Gerda Hartmann unterhielt eine illegale Literaturstelle in der Radiofirma Peters, in der sie vorübergehend beschäftigt war. Außerdem wurde sie damit beauftragt, die Verbindung zu Conrad Blenkle, zu halten, der als ehemaliges Mitglied des Zentralkomites und Instrukteur der Abschnittsleitung Norddeutschland ein führender Funktionär der verbotenen KPD war.

Am 2.9. 1936 wurde Walter von Perlstein in „Schutzhaft“ genommen und vor Gericht gestellt. Das Hanseatische Oberlandesgericht verurteilte ihn im Februar 1938 im „Strafverfahren gegen Lührs und Andere“ wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu einer 5-jährigen Haftstrafe im Zuchthaus Oslebshausen. Gerda, der das Gericht eine führende, sehr aktive Mittäterschaft in der illegalen Arbeit attestierte, wurde zunächst jedoch nicht inhaftiert, vermutlich weil man hoffte, über sie Conrad Blenkle fassen zu können, der aufgrund seiner politischen Bedeutung im Fokus der Verfolgung stand. Gerda Hartmann wurde nach der Verhaftung ihres Mannes von den Gestapobeamten Herrlein und Schrader beschattet, die ihr jeden Tag in einem Hauseingang unweit der Kaffeefirma, in der sie damals vorübergehend angestellt war, auflauerten. Einmal gelang es ihr dort, Conrad Blenkle bei einer unabgesprochenen Kontaktaufnahme geistesgegenwärtig vor der drohenden Verhaftung zu bewahren. Benkle konnte noch einmal entkommen, er sollte erst 1941 im besetzten Dänemark gefasst und später in Berlin-Plötzensee hingerichtet werden.

Angesichts der Gefahr ihrer eigenen Verhaftung musste Gerda Hartmann Bremen so schnell wie möglich verlassen. Die KPD wollte sie ursprünglich nach Amsterdam schicken. Um aber überhaupt aus Bremen wegzukommen, war sie auf die finanzielle Unterstützung ihres Vaters angewiesen. Dieser war jedoch nur bereit, eine Fahrkarte nach Liberec (Reichenberg) in der Tschechoslowakei zu bezahlen, wo seine Schwester lebte. Gerda Hartmann verließ Bremen am 28.9. 1936 gerade noch rechtzeitig, denn ihre Verhaftung stand unmittelbar bevor: Im Spruchkammerverfahren erklärte der Gestapobeamte Herrlein 1949 rückblickend, dass man großen Wert darauf gelegt habe, auch sie zu verhaften, „jedoch sei das Nest leider schon leer gewesen“.

Von Liberec aus gelangte Gerda Hartmann nach Prag, wo sie als Mitglied der illegalen KPD-Gruppe anerkannt wurde und bald die Leitung des „Jüdischen Flüchtlingskomitees“ übernahm, die ihr von der dortigen Israeltischen Gemeinde übertragen wurde. Sie war damit auch Mitglied des „Comitee Central“, der Dachorganisation aller Prager Flüchtlingskomitees, sowie des Zentralen Kinderkomitees.

Nach dem Einmarsch der Deutschen Wehrmacht in Böhmen und Mähren wurde Gerda Hartmann gemeinsam mit anderen Emigranten am 14.11.1938 nach London ausgeflogen. Dort arbeitete sie im tschechischen Flüchtlingskomitee an der Rettung von Antifaschisten aus dem besetzten Land. Sie war zuständig für die Bearbeitung von „Hausangestellten-Permits“, die damals noch die rettende Emigration nach Großbritannien ermöglichten. Nach Kriegsausbruch musste sie ihre Arbeit sich auf die sozialarbeiterische Betreuung der bereits in Großbritannien ansässigen Hausangestellten reduzieren. Als sie nach einem Bombenangriff unter Trümmern verschüttet war, wechselte sie eine weniger aufreibende Tätigkeit und arbeitete im Archiv des antifaschistischen Blattes „Die Zeitung“.

Walter van Perlstein war nach Verbüßung seiner Haftstrafe in das KZ Mauthausen verschleppt und dort am 6. 12.1941 ermordet worden, was Gerda erst nach Kriegsende erfuhr. Sie blieb zunächst in London, wo sie als Sozialarbeiterin von einem Flüchtlingskomitee mit der Suche nach vermissten Antifaschisten aus Deutschland, Österreich und Polen betraut wurde. Im Juni 1946 wurde sie als Leiterin des „Rückwanderungsbüro für deutsche Flüchtlinge“ für die Repatriierung von Emigranten zuständig. Obwohl sie nach Beendigung dieser Arbeit Aussicht auf eine gut bezahlte Stelle im deutschsprachigen Archiv der BBC in London hatte, kehrte sie im September 1947 in ihre Heimatstadt Bremen zurück. Sie habe, so sagt sie am Ende des o.a. Interviews, sich verpflichtet gefühlt, „in das zerstörte Deutschland zurückzukehren, um beim Wiederaufbau mitzuhelfen.“ In Bremen wurde Gerda Hartmann als politisch Verfolgte anerkannt und arbeitete in verschiedenen Funktionen für die „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“(VVN).

1949 lernte Gerda Felix Hartmann kennen, KPD-Mitglied, Spanienkämpfer, Exilant in Frankreich und der Sowjetunion, später Major in der Nationalen Volksarmee. Im März 1950 zog sie zu ihm in die DDR, jenen Teil Deutschlands, der ihr aufgrund ihrer politischen Überzeugungen sicherlich mehr politische Heimat sein konnte als die BRD. Das Paar heiratete am 28.12. 1950 und lebte zunächst in Schwerin, wo Gerda Hartmann u.a. als Lehrerin arbeitete, danach in Rostock, im Kreis Königs-Wusterhausen und zuletzt in Berlin-Pankow. Beide erhielten in der DDR mehrere staatliche Auszeichnungen. Gerda Hartmann starb am 17.1.2004 in Berlin. Auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde, auch bekannt als Sozialistenfriedhof, fand sie an der Seite von Felix Hartmann ihre letzte Ruhestätte.

Gerda Hartmanns Vater und ihr Bruder Dagobert waren als polnische Staatsangehörige im Oktober 1938 im Rahmen der „Polenaktion“ aus Deutschland nach Polen vertrieben worden. Es wurde Leiser Hillmann jedoch erlaubt, zur Liquidierung seines Geschäftes im Juli 1939 vorübergehend nach Bremen zurückzukehren, und er nutzte dies, um die Emigration zu organisieren. Gerda Hartmann war es gelungen, ihren Eltern in London Stellen als Hausangestellte zu verschaffen, und so konnten beide noch kurz vor Kriegsausbruch nach Großbritannien auswandern.

Ihre Schwester Marie Dressler hatte mit ihrer Familie schon 1938 nach Uruguay emigrieren können, wo ihnen die Familie ihres Onkels Israel Weißbraun, die schon 1933/34 dorthin ausgewandert war, vermutlich den Weg ebnen konnte. 1947 sollten auch Leiser und Laje Hillman von London nach Uruguay ziehen, in die Nähe von Tochter und Bruder. Leiser Hillmanns Schwester Sara Barthel, die mit einem Nichtjuden verheiratet war, wurde 1945 von Bremen nach Theresienstadt deportiert. Sie überlebte, wie auch ihr Mann und ihr Sohn, die in Arbeitslagern Zwangsarbeit leisten mussten.

Dagobert Hillmann war nach seiner Abschiebung aus Bremen nach Ostgalizien, die alte Heimat der Familie, zurückgekehrt. Das englische Visum, das seine Schwester Gerda ihm hatte verschaffen können, hatte er wegen des Kriegsausbruches nicht mehr im englischen Konsulat in Katovice (Kattowitz) abholen können. Nach dem Einmarsch der Deutschen Wehrmacht Ende Juni 1941 wurde er in Lwiw (Lemberg) bei einem Massaker von Oberländers Mordbataillon „Die Nachtigallen“ ermordet.

Christine Nitsche-Gleim (2024)

Informationsquellen:
StA Bremen Einwohnermeldekartei, Akten 4,54 E -1212, -11118, -9513, -9514,-11055, -294, -10634, -1208 , -11118, 4,75/5 3190
BArch DY30/70968, RY1 /414, SgY 30/1896
Landesarchiv Berlin C Rep.118-01, Nr. 25413 und Nr.25412
Neues Deutschland: Ausgaben vom 5.7.1970, S.4, 25./26.2.1978, S.5, 20.5.1980, S.2, 5.3.1983, 15./16.10 1983, S.8
Interview mit der Antifaschistin Gerda van Perlstein, in: Konfliktforschung Aktuell, Heft 3-4/98, Jg.6, S.85-98
Wikipedia: Conrad Blenkle, Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit
Geschichte der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit: www.wilp.de/die-liga/geschichte
Wollenberg, Jörg: Volksfront in Bremen, in: Junge Welt vom 11.9.2004
Wollenberg, Jörg: Die Arbeiterbewegung zwischen Selbstpreisgabe, Zerschlagung und antifaschistischem Widerstand, in : Jahrbuch für Forschung zur Geschichte der Arbeiterbewegung 2013, S. 5-29
Christoffersen, Peter: „Am Donnerstag kamen zwei von der Gestapo“- Die Abschiebung der Bremer polnischen Juden im Oktober 1939 in: Christoffersen/Johr (Hrsg.): Stolpersteine in Bremen, Bd. 7, Hemelingen/Osterholz, S.69-85

Abbildungsnachweis: Staatsarchiv Bremen

Weitere Informationen:
Glossarbeitrag Haftstätten in Bremen
Glossarbeitrag "Polenaktion"
Glossarbeitrag Politisch Verfolgte