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Fränzel Altgenug, *1929

deportiert 1941
ermordet in Minsk


Charlottenstr. 28
Bremen-Mitte


Charlottenstr. 28 - Weitere Stolpersteine:


Fränzel Altgenug

Fränzel Altgenug
geb. 29.3.1929 in Norden

Samson Altgenug
geb. 25.1.1890 Norden

Samson Siegmund Hermann Altgenug wurde als Sohn von Hermann (Samson) Altgenug, (geb.12.8.1862 in Norden) und Betti von der Wall (geb. 29.1.1857) am 25.1.1890 in Norden geboren. Das Ehepaar hatte sechs Kinder: neben Samson noch Joseph (geb. 6.1.1889), Moses (geb. 23.6.1891), Hanna (Hannchen) (geb. 28.5.1897), Jette (geb. 11.5.1898) und Jakob (geb. 29.6.1900). Die Stadt Norden war der Geburtsort von allen Kindern.

Samson Altgenug war mit Johanna Emanuel (geb. 19.11.1901 in Nentershausen) verheiratet. Sie hatten zwei Kinder: Sohn Hermann (geb. 15.11.1924 in Norden) und Tochter Fränzel (geb. 29.3.1929 in Norden).
Samsons Vater Hermann (Samson) Altgenug lebte als Viehhändler in Norden, Sielstraße 1, und betrieb eine Milchwirtschaft mit etwa 30 Kühen. Sein Geschäft, das bereits seit 1887 existierte, umfasste Viehmast, Viehhandel und Kreditvergabe. Es gab einen weiteren Zweig der Familie Altgenug in Norden, sodass anzunehmen ist, dass die Familie alt eingesessen und weit verzweigt war. Das Geschäft von Hermann (Samson) Altgenug wurde am 1.1.1932 von seinem Sohn Samson (Siegmund) und dessen Bruder Joseph übernommen.

Gewaltmaßnahmen der Nationalsozialisten gegen jüdische Mitbürger fanden in Norden bereits vor den reichsweiten Boykottmaßnahmen statt. So wurden z. B. am 28.3.1933 Schächtmesser beschlagnahmt und öffentlich verbrannt. Die nächsten Jahre verliefen zwar relativ ruhig, denn die führende Stellung der jüdischen Viehhändler blieb noch eine gewisse Zeit bestehen. Aber auf die Dauer verfehlten Einschüchterung und Boykott nicht ihre Wirkung: Der Geschäftsgewinn der Altgenugs verringerte sich dramatisch, und am 1.1.1938 entzog ihnen der Viehwirtschaftsverband Oldenburg die Handelserlaubnis.
Während des Novemberpogroms 1938 wurde Joseph Altgenug inhaftiert und bis zum 6.12.1938 im Konzentrationslager Sachsenhausen festgehalten. Während dessen Abwesenheit verkaufte die Kreisbauernschaft Altgenugs Milchkühe an „arische“ Bauern, was zur Aufgabe der bis dahin noch von der Familie betriebenen Milchwirtschaft führte. Es gab nun in Norden für die Familie Altgenug keinerlei Verdienstmöglichkeiten mehr.
In Ostfriesland lebende Juden im Alter von über 70 Jahren wurden in das jüdische Altersheim in Emden gebracht. Samsons Vater Hermann (Samson) Altgenug wurde am 17.2.1940 eingewiesen und starb dort am 13.4.1940. Seine Ehefrau war bereits am 26.2.1939 verstorben und auf dem jüdischen Friedhof in Norden bestattet worden.
Spätestens bis zum 1.4.1940 mussten alle noch in Ostfriesland lebenden Juden „aus militärischen Gründen“ ihre Wohnungen zwangsweise räumen und sich innerhalb des Deutschen Reiches eine anderweitige Bleibe suchen (siehe Glossarbeitrag Judenvertreibung aus Ostfriesland/Oldenburg). Die meisten zogen in die nächstgelegenen größeren Städte. Das galt auch für die beiden Brüder Joseph und Samson Altgenug und deren Familien aus Norden. Ab 26.2.1940 waren sie in Bremen gemeldet, wo sie im „Judenhaus“ Charlottenstraße 28 eine Bleibe gefunden hatten.

Joseph, der älteste Sohn der Familie Altgenug, war mit Sophie Weinberg (geb. 14.2.1896 in Esens) verheiratet. Ihr Sohn Fritz verstarb am 10.7.1930. Ihrem jüngsten Sohn Rolf (geb.3.2.1930) gelang noch 1939 die Flucht nach Schweden. Der erstgeborene Sohn Hugo (geb. 15.3.1925), der mit nach Bremen gekommen war, verließ die Stadt nach kurzem Aufenthalt und war vom 23.4. bis 9.7.1940 in Ahlem bei Hannover gemeldet. Dort gab es eine Israelitische Gartenbauschule. Heute befindet sich dort eine Gedenkstätte: ein Lern- und Erinnerungsort von jüdischer Kultur und Hoffnung, aber auch von Verbrechen und Vernichtung. Vermutlich wollte Hugo dort eine Hachschara-Ausbildung absolvieren zur Vorbereitung der Auswanderung nach Palästina. Warum er nach kurzer Zeit die Ausbildungsstätte wieder verließ und nach Bremen zu seinen Eltern zurückging, ist nicht bekannt. Am 16.7.1940, also wenige Tage später, nahm er sich das Leben. Seine Leiche wurde in der Weser gefunden.

Jakob, der jüngste Sohn der Familie Altgenug, konnte ebenfalls nicht in Norden bleiben. Er hatte dort die Volksschule ohne Abschlussprüfung besucht, danach im väterlichen Geschäft eine Lehre gemacht und weiter im Familienbetrieb gearbeitet. Er blieb ledig. Nach der Verdrängung aus der bisherigen Erwerbstätigkeit zog er zunächst nach Paderborn. Es könnte sein, dass er versuchte, in dem dortigen Hachschara-Zentrum einen Ausbildungsplatz zur Vorbereitung der Auswanderung nach Palästina zu erhalten. Er kam von Paderborn aber schon am 21.3.1940 nach Bremen. Bis zum 3.4.1940 wohnte er bei seinen Brüdern in der Charlottenstraße 28 und dann bis zu seiner Deportation in der Westerstraße 28. Er versuchte offensichtlich auszuwandern, da er 1.200 RM an ein Wiener Reisebüro zahlte. Der Grund für das Scheitern seines Vorhabens ist nicht bekannt.

Der Sohn von Samson Altgenug - Hermann - wurde erstmals am 19.12.1940 in Bremen registriert. Er kam aus Neuendorf/Fürstenwalde, vermutlich zu einem Besuch seiner Eltern, und fuhr am 3.1.1941 dorthin wieder zurück. Vieles spricht dafür, dass er in dem Landwerk Neuendorf lebte. In der Hachscharastätte fanden landwirtschaftliche Fachkurse, Hebräisch-Unterricht sowie Fortbildungskurse in jüdischer Geschichte zur Vorbereitung der Auswanderung nach Palästina statt. Hermann Altgenug verließ Neuendorf am 11.11.1941 und kehrte nach Bremen zu seinen Eltern zurück.
Samson Altgenug, seine Ehefrau Johanna und die beiden Kinder Hermann und Fränzel, sein Bruder Joseph und dessen Ehefrau Sophie sowie sein Bruder Jakob wurden am 18.11.1941 in das Ghetto Minsk deportiert. Sofern sie nicht den unmenschlichen Lebensbedingungen im Ghetto erlagen, fielen sie einer der Massenmordaktionen zum Opfer, die Ende 1942 begannen.

Für mehrere Mitglieder der Familie Altgenug wurden im Oktober 2010 in der Stadt Norden Stolpersteine verlegt: für Samson, Joseph, Sophie und Jakob Altgenug.
Die Schwestern Altgenug - Hanna (Hannchen), verh. Gerson, und Jette, verh. Gerson - konnten mit ihren Familien nach Argentinien auswandern, wo sie am 3.5.1939 in Buenos Aires eintrafen. Der Bruder Moses Altgenug war am 6.9.1916 im Ersten Weltkrieg gefallen.


Quellen
StA Bremen 4,54-E11856/1, 4,54-E10302, 4,54-E11870
wiki-de;genealogy.net
www.stenenarchief.nl
Jewish Genealogy Argentina (www.hebrewsurnames.com) www.alemannia-judaica.de/norden_friedhof.htm
www.norden.de
www.forge.fh-potsdam.de/-SWABD/n-dorf.htm (hachscharastätte Neuendorf ) www.wikipedia.de(Israelitische Gartenbauschule Ahlem) www.jüdische-gemeinden.de Norden/Niedersachsen